Hochsensibilität

Hochsensibilität: „Hochsensible und die Natur“

Es gibt ein Hindernis in der Literatur über Hochsensibilität, über das ich immer wieder stolpere. Generell finde ich Verallgemeinerungen weniger gut, diese kommt mir in nahezu jedem Buch über HSP unter, sodass ich von einigen persönlichen Erfahrungen erzählen möchte.

HSP sollten sich möglichst viel in der Natur aufhalten. Die Natur tut HSP gut. Um ihr überreiztes Nervenkostüm zu erden, raus ins Freie mit ihnen!

Um ehrlich zu sein, dem kann ich mich nicht zur Gänze anschließen. Natur ist für mich ein monumentales und Ehrfurcht gebietendes Ereignis, randvoll mit Energien, Schwingungen und ein wahres Fest für alle Sinne. Sie hat immer schon jede meiner Stimmungen verstärkt, also habe ich mich gehütet, ausgerechnet dann einen Waldspaziergang zu machen, wenn ich gerade aufgewühlt war. Oft musste ich das gar nicht sein und konnte trotzdem ihre Macht spüren. Begebe ich mich an die Ufer des Sees, in dessen Nähe ich lebe, spüre ich sein Atmen, die Kraft der Wellen, und dies erzeugt einen inneren Sog, mich an etwas zu erinnern, das jenseits meines Bewusstseins liegt. Schwer in Worte zu fassen, weil es ein Gefühl ist. Das ist zwar wunderschön, aber Entspannung geht anders.
Ich habe größten Respekt vor der Pflanzen- und Tierwelt. Wenn sie aufwartet mit Landschaften, die einem den Atem rauben oder mit majestätischen Bewohnern, die bereits im Artenschutz leben (müssen!), habe ich nasse Augen und ein weites Herz.
Aber, um ehrlich zu sein, habe ich dies alles eher selten als Ressource genutzt, um meine Reizverarbeitung zu bewältigen.

Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ich das viel besser in einer Fußgängerzone einer Stadt schaffe. Mir ist klar, damit werfe ich ganze Studien über den Haufen, aber inmitten einer Schar anonymer Menschen, die mir nicht nahe kommen, kann ich ganz bei mir ankommen. Menschen blende ich leichter aus als die machtvollen Schwingungen von Mutter Erde.

Als HSP bin ich aber natürlich immer wieder gerne für mich alleine, daraus schöpfe ich Kraft und Energie. Wenn aber weit und breit nur Natur mich umgibt, ganz ohne Begrenzung, kann das ein Gefühl erzeugen, das sich wie Einsamkeit anfühlt – allerdings keine selbst gewählte. In eine Landschaft begebe ich mich, um mich von ihr beeindrucken zu lassen, um zu fühlen, woher ich komme, um mich mit dem Leben zu verbinden – aber nicht, um mich zu erholen. Das kann ich woanders leichter und besser.

Deshalb sollte man nicht alle HSP in einen Topf werfen und die Natur als Erdungsressource fix ins Feld führen. Kann sein, muss aber nicht. Für mich waren es immer schon eher Städte, wo ich mich fallenlassen konnte. Menschenmassen wie auf Stadien-Konzerten sind mir eine Belastung, aber verteilt über schöne Architektur und atmosphärische Kaffeehäuser, eingebettet in Kunst und Kultur, kann ich sie ganz gut aushalten. Da ich Städte liebe, fordere ich also, dass für manche HSP auch diese als Erdung in der Ratgeberliteratur angeführt werden! 🙂

Was wir nicht außer Acht lassen sollten, ist, dass Natur nicht nur aus Flüssen, Bergen und Wäldern besteht – da gibt es noch ihre Bewohner, die Tiere.
Von ihnen kann man sich ein großes Stück Energie abholen, diese wunderbaren Geschöpfe sind Balsam für ein überreiztes Nervenkostüm.
Es ist also vollkommen in Ordnung, wenn es einen nicht hinauszieht.

Kuschelt euch an den Hund, beobachtet einen Vogel, lasst das Schnurren einer Katze auf eure Hand übergehen. Oder setzt euch barfuß in den Schaukelstuhl, taucht über Kopfhörer in den Gesang von Walen ein, seht dabei dem Flug der Wolken zu und holt euch so die Kraft der Natur in eure geistige Welt …

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