Ich habe 36 Jeans. Nebenbei finde ich Minimalismus toll. Nun fragt ihr zu Recht, ob ich da nicht irgendetwas durcheinanderbringe.
Also, ich korrigiere mich: Ich HATTE 36 Jeans.
Dann stolperte ich zufällig in eine Reportage über eine Modebloggerin mit mittlerweile eigenem Label, die sich dem Minimalismus und der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Ab diesem Zeitpunkt waren bestimmte Tatsachen nicht mehr zu ignorieren. Beispielsweise die, dass ich von allem zu viel besaß.
Besagte Dame zeigte ihren Kleiderschrank – besser gesagt, ihre Stange von 1,5 Metern. Ich wollte am liebsten weinen und auch so eine Stange haben.
Ich war modesüchtig. Vor allem habe ich es geliebt, Kleidung zu erstehen. Getragen habe ich nur einen Bruchteil davon. Über die Gründe will ich gar nicht zu sehr spekulieren. Sicher hatte es eine Menge mit Substitution und Aktivierung der Belohnungssysteme in meinem Gehirn zu tun.
Versuche, radikal auszumisten, scheiterten unter anderem an Nostalgieanfällen oder dem Gefühl, mir würde etwas entrissen, was ich eigentlich haben wollte. Manche scheiterten auch an einem schlechten Gewissen, immerhin hatte ich gutes Geld für mein Laster ausgegeben. Man kennt das ja: Um eine Ausrede ist man nie verlegen.
Es war klar, dass ich Hilfe brauchte. Ich brauchte jemanden ohne emotionalen Bezug, der einen vergleichsweise nüchternen Blick auf das Ganze hatte. Gleichzeitig musste mir dieser Jemand aber nahestehen und vertraut sein.
Den Tag, an dem wir uns meinen Kleiderschrank vornahmen, vergesse ich mein Leben nicht. Wir kämpften uns durch Stoffberge, die manchmal gar nicht zu mir zu gehören schienen. Wir starteten am Vormittag und arbeiteten bis elf Uhr nachts. Haben wir an dem Tag überhaupt gegessen?
Ich habe mich gewehrt, wollte zehnmal abbrechen, dich aus dem Raum oder besser noch aus dem Haus werfen, habe dir die Freundschaft gekündigt, fühlte mich wie eine Mutter, der ihre Babys entrissen werden. Also fast. Du warst knallhart, aber auch ziemlich geduldig mit mir. Danke dafür! 😉
Am Ende war ich schweißgebadet und erschöpft. Doch tief drinnen nahm ich das Keimen eines Pflänzchens wahr, das nach Befreiung roch.
So sollte es kommen. Du warst längst weg, die knapp zwanzig Säcke mit Klamotten entweder verschenkt, gespendet oder zum Second-Hand-Laden gebracht, als ich erstaunt feststellte, dass mir keines der Teile fehlte. Ich bemerkte, dass mich urplötzlich ein tiefes Glücksgefühl überkam, als ich meinen Kasten betrachtete, der nicht länger auf Millimeter zusammengepresste Kleidungsstücke beheimatete. Da war Luft, da war leerer Raum, ich hatte plötzlich kein Problem mehr mit der Frage, was ich denn anziehen sollte. Es herrschten Übersicht und Ordnung – eine Klarheit, die sich auf alle anderen Räume und Lebensbereiche ausbreiten sollte.
Ich erkannte, wie sehr mich der Minimalismus begeisterte. Ich entrümpelte meine Küche und meinen Abstellraum, gab in Summe 25 Paar Schuhe sowie zahlreiche Handtaschen weg, kündigte Zeitschriften- und sonstige Abos und befreite das Bad von meinen Kosmetikarchiven. Auch mein Pflegeprogramm für Haut und Haare habe ich reduziert, was sie mir umgehend gedankt haben. Ich machte einfach an jeder erdenklichen Stelle weiter, bis hin zu einer sehr schlichten Einrichtung meines Wohnzimmers, das gleichzeitig zu meinem Yogaraum wurde.
Extremen Minimalismus werde ich wohl nie betreiben, aber das ist auch nicht nötig. Nach wie vor geht die Tendenz dahin, Dinge wegzugeben. Ich ahnte nicht, wie sehr es sogar die Seele und die Psyche entlastet, weniger zu besitzen. Ich wurde genügsamer, auch auf Lebensebene. Eine angenehme Zufriedenheit stellte sich ein, die sich fast mit Glück vergleichen lässt.
Die Dinge nämlich, die man bewusst kauft oder nutzt, bringen wahre Erfüllung – und das über den Moment des Erwerbs hinaus. Weniger ist mehr, so sagt man. Für mich ist wenig ganz schön viel, im besten Wortsinn.
„Leichtes Gepäck“ wirkt zu allerserst befreiend auf die Psyche.
Glückwunsch!
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Das stimmt. 🙂 Ich danke dir!
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Kompliment! 🙂
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Danke schön! 🙂
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