Vor Kurzem habe ich folgenden Satz gelesen: Die Erwartung ist alles, die Wirklichkeit kann ihr nicht das Wasser reichen. – Ich selbst habe unzählige derartige Erfahrungen gemacht.
Wie großartig und spektakulär war das Kino in meinem Kopf, ehe die Realität einen etwas schalen Geschmack zurückließ? Zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass sie selbstverständlich nichts von meiner tagelangen gedanklichen Regiearbeit wissen konnte.
Wer kennt es nicht? Ein besonderer Abend steht an, ein Rendezvous, eine Reise, eine Party, ein Theaterstück oder Konzert, das neue Lied eines gefeierten Superstars, ganz egal – die Erwartung schnellt in die Höhe. Da ist es nur allzu menschlich, dass alles, was sich unser Kopf ausmalt, weit über dem liegen wird, was uns am Ende tatsächlich erwartet. Die menschliche Fantasie umspannt Galaxien. Was wäre das also für eine Herangehensweise, nicht das Beste anzunehmen?
Dann aber steht man auf der Party, dem Konzert, hört das Lied, sitzt im Theater – und alles fühlt sich plötzlich nur mehr lauwarm an. Liebe Fantasie, darf ich vorstellen? Die Realität. Kennt ihr einander bereits? Nein, natürlich nicht.
Umgekehrt verhält es sich allerdings genauso. Der geliebte Mensch meldet sich nicht, die beste Freundin hatte keine Zeit, der Arbeitskollege war außerordentlich kühl. Oder die Geschäftsidee geht nicht auf und der neue Text kommt nicht an. Manchmal quälen einen zermürbende Fragen: Wird am Ende des Monats wohl noch genug Geld auf dem Konto sein? Wird die ärztliche Untersuchung irgendetwas Schlimmes zutage fördern? Wieder läuft die Fantasie zur Hochform auf – Schreckensszenarien so weit das Auge reicht. Im Gegensatz zur freudigen Erwartungshaltung verfällt man hier jedoch in befreites Lachen, wenn die weit weniger dramatische Realität ihren Auftritt hat. Plötzlich kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen, was gerade noch so beängstigend erschien.
Als noch erfrischender erweisen sich die Begebenheiten, die unerwartet toll werden. Begebenheiten wie ein geselliger Abend, zu dem man in Freizeitklamotten und mit schlechter Frisur aufgetaucht ist, der einen aber am nächsten Tag in Glückseligkeit schwelgen lässt.
Von einigen Menschen hat man gehört, dass sie die besten Dinge und Reisen im Kopf erleben. Von der Gesellschaft bekommt man hingegen den Druck auferlegt, dies und das tun oder hier und dort dabei sein zu müssen. Lasst euch so etwas bloß nicht einreden.
Ich zähle mich ebenfalls zu denen, deren größte Abenteuer im Kopf stattfinden. Ich bin womöglich weiter gereist als mancher Weltenbummler – und an jedem Ort, den ich besucht habe, herrschte maximale Freiheit ohne die Barrieren von Kleingeist und Liebesangst.
Wie wahr.
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