Liebe …
Liebe!
Wir haben alle unsere eigene Vorstellung von ihr. Wir strapazieren sie in sämtlichen Ausdrucksformen der Kunst. Ohne die Liebe würden uns die Themen ausgehen und selbst im knallharten Actionfilm findet sie ihre Nische. Sie scheint um uns zu kreisen, uns daran erinnern zu wollen, dass sie unsere Triebkraft darstellt, auch wenn wir das so gern anders sehen würden. Aber begreifen wir sie? Wissen um ihr Wesen von Geburt an und vergessen es bloß wieder im Trubel der Emotionen? Noch immer glauben zu viele Menschen, man komme ohne sie aus …
Da ist zuerst dieser Jungmädchentraum. Die ersten Schmetterlinge tanzen, das Tagebuch hat einfach nicht genügend Seiten für das überquellende Herz, und doch scheint kein Wort dem Sturm in einem gerecht zu werden. Alles ist möglich, die Welt ein einziges Wunderland. Keine Wolke kann das junge Glück trüben, denn man glaubt an die Ewigkeit. Dazu gesellt sich langsam die Vorstellung des sicheren Hafens, der Bilderbuchfamilie – unantastbar für die Angriffe des Lebens.
Der Gedanke, dass es mit dem geigenuntermalten Filmende nicht getan ist, dass die Liebe da erst an Tiefe gewinnt und uns zu schleifen anfängt, erreicht gar nicht unser Bewusstsein. Ernüchternde Erkenntnis: Die Arbeit beginnt nach dem Happy End. Warum schreiben sie eigentlich keine Warnhinweise in den Abspann, so ähnlich wie bei Pharmaprodukten? Liebe kann immense Wechsel- und Nebenwirkungen haben.
Eines Tages bist du wach. Nämlich dann, wenn sie sich dir vorstellt. Richtig vorstellt. Nicht verpackt in rosa Tüll. Dann verabschiedest du dich von der Fantasie, verstaust alle rosa Brillen im Schrank, das eigene überdimensionale Ego gleich dazu, und stehst vor ihr. Du wagst kaum den Blick zu heben, weil sie so schön und majestätisch ist, wenn sie in ihrer Bedingungslosigkeit daherkommt.
Deine Vorstellungen wirft sie mit einer einzigen Handbewegung über Bord und du stellst das erste Mal das Wohl eines anderen Menschen über dein eigenes. Auf einmal willst du nichts anderes, als dass es diesem Menschen gut geht, willst ihn behüten, beschützen, berühren. Ohne Forderung, ohne Gegenleistung. Vielleicht sogar ohne Erwiderung. Ja, man kann und darf jemanden lieben, auch wenn derjenige es nicht einmal bemerkt.
Deine Knie zittern, weil dieser ganze Klischeekram vom Prinzen auf dem strahlenden Ross (oder war es die Rüstung, die strahlend war?) unvermittelt in Richtung Bedeutungslosigkeit abfährt. Weil du erkennst, dass „… und wenn sie nicht gestorben sind“ keineswegs Glück bis ans Lebensende bedeutet. Du wirst da gepackt, wo sie dich aufrütteln will:
Die Liebe fordert deinen Egoismus heraus, reißt dir sämtliche Masken vom Gesicht und heißt dich mit stummen Worten im Leben willkommen. Ob du willst oder nicht, du hörst ihre Stimme in deinem Kopf. „Straff deinen Rücken und wage endlich die Reise mit jemandem auf Augenhöhe. Mit jemandem, der keiner deiner Schablonen entspricht. Da staunst du, was? Kein Verstecken mehr hinter lang verjährten Wunden. Willst du noch lange auf der Stelle treten und warten? Keine Ahnung, worauf du wartest, aber du könntest das Leben verpassen. Lass dich ein auf den Weg, der zwar manchmal steinig sein wird, dessen unerwartete Schönheit dich aber auch zum Weinen bringen kann – sofern du dich dafür öffnest.“
Sie fordert Geduld und Toleranz. Wenn du dich trotzig auf den Boden wirfst, wird sie danebenstehen und dir gelassen die Hand reichen. Sie wird dir aufhelfen. Nur gehen musst du alleine; allerdings wird dich ihre Güte begleiten. Sie wird dich lehren zu verzeihen und weich zu sein – weich, nicht schwach –, weil es nichts gibt, was die Liebe nicht zu heilen vermag.
Unser kleines Denken lässt aus voller Kehle verlauten, dass uns Unrecht getan wurde; dass Liebe gefälligst nur und ausschließlich glücklich zu machen hat. Dass das im besten Fall ein anderer Mensch erledigt, ein Mensch vom Format „Traummann/-frau ohne Makel“. Wolke 7 sollte für die Ewigkeit sein, die Flügel von Schmetterlingen niemals ermüden!
Die Liebe selbst hingegen bleibt gelassen, schenkt dir ihr tiefgründiges Lächeln und flüstert: „Alles kommt zu dem, der warten kann, der ein mutiges Herz hat.“ Du wirst oft warten müssen und dich ungerecht behandelt fühlen. Du wirst davon träumen, wie es im Film war … kann es bitte, liebe Liebe, wie im Film sein?
Irgendwann verstehst du, dass es nicht um erste Dates, den besten Sex deines Lebens oder die Familienplanung sowie das schöne Haus geht. Da hast du etwas verwechselt, das sind ganz andere Geschichten. All das ist höchstens Dekoration, es macht die Liebe nicht aus.
Zugegeben, für Feiglinge ist das nichts. Wer von der Liebe fordert, einen doch endlich zu finden, dessen Weg wird sie niemals kreuzen. Aber Vorsicht: Dir steht womöglich eine überraschende Begegnung bevor. Unter Umständen so überhaupt nicht, was du erwartet hast. Unser Part ist nur, uns von überzogenen Erwartungen zu lösen. „Nur“ – Humor hat sie offensichtlich auch noch.
Wer es wagt, ihr zu folgen, ohne sie ständig infrage zu stellen, wer ihr keine Kontrolle oder Vorstellung überstülpt und sie in den Augen des richtigen Menschen erkennt, dem offenbart sie ihre volle Schönheit. Der, der sich traut, wird nie mehr einsam sein … denn den wird sie behutsam in ihre Arme schließen.