Gedankensplitter

Fotografieren

Warum fotografieren wir? Auch mich beschleicht immer wieder einmal das Bedürfnis, Augenblicke für die Ewigkeit festzuhalten.

Die Gründe, warum Menschen die Kamera zücken, dürften mannigfaltig sein. Manche sehen Kunst darin, machen die Bildaufnahmen zum Hobby oder gar zum Beruf. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass hier Werke entstehen, die einen ganz tief zu berühren vermögen.
Andere wollen außergewöhnliche Ereignisse wie Konzerte, Hochzeiten, Urlaube, Familienzuwachs etc. bildlich konservieren. Sie wollen Alben anlegen, die von einem bewegten Leben zeugen, haptisch abrufbare Erinnerungen schaffen. Aber funktioniert das? Betrachten wir einmal das Beispiel Konzerte.

Der eigentliche Sinn, ein solches zu besuchen, ist es, die Darbietung des Künstlers zu erleben. Kommt nun jedoch der Zwang, jede Sekunde des irdischen Daseins festzuhalten, hinzu, wird das schwierig. Erstens sieht man vor lauter Handykameras nicht einmal richtig zur Bühne, zweitens entgehen einem wunderbare, magische Momente. Momente, die man deshalb verpasst, weil man nicht mit allen Sinnen und der ungeteilten Aufmerksamkeit dabei, sondern anderweitig beschäftigt ist.

In Zeiten von Social Media hat die Fotografie einen unendlichen hohen Stellenwert eingenommen. Es geht viel um Selbstdarstellung, einen gewissen sozialen Exhibitionismus. Man präsentiert das eigene Leben, möglichst perfektioniert und geschliffen.
Böse Zunge behaupten, dass Paare, die ständig innige Bilder mit Küsschen und romantischen Hintergründen posten, sich selbst oder auch andere davon überzeugen wollen (oder gar müssen?), dass die Beziehung echt ist und auch real stattfindet. Gemäß einem Artikel, den ich einmal gelesen habe, scheinen Paare, die wissen, was sie aneinander haben und tatsächlich als Team durchs Leben gehen, dieses Bedürfnis weniger zu verspüren.

Hand aufs Herz: Kann ein verwackeltes Handyvideo mit schlechter Soundqualität wirklich den Eindruck eines Konzerts reproduzieren? Wie oft schauen wir uns alte Urlaubsfotos an? Empfinden wir unbändige Vorfreude, wenn jemand die 351 Fotos vom Nachwuchs auszupacken beginnt? Müssen wir uns als Paar dem Netz präsentieren, um zu beweisen, dass wir eines sind?
Ich glaube, jeder von uns kennt den Effekt: Man versucht, einen besonders schönen, nahezu magischen Ort in der Natur einzufangen – den imposanten Vollmond, einen weiten Horizont – und dann sieht man sich die Aufnahme an und denkt sich: „Das war live aber weitaus beeindruckender.“

Die Aborigines wollen sich nicht fotografieren lassen, weil sie der Meinung sind, dass einem durch das Foto ein Teil der Seele gestohlen wird. Ein interessanter Gedanke. Ich habe überlegt, ob man durch den Versuch, einen Augenblick einzufrieren, vielleicht die Zeit an dieser Stelle anhalten will und damit den Fluss stört.
Was das Potenzial zu einer unauslöschlichen Erinnerung hat, was unsere Seele nachhaltig beeindruckt, das tragen wir sowieso im Herzen. Da ist es jederzeit und vollkommen ohne fotografische Gedächtnisstütze abrufbar …

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