Gedankensplitter

Künstlich

„Das Publikum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen Sonnenaufgang.“
(Friedrich Hebbel)

So scheint es.

Wie viele Feuerwerke haben wir nicht schon gesehen – auf Volksfesten, Hochzeiten oder an Silvester? Für mich wirken sie immer gleich, aber jedes Mal stehen die Menschen wieder mit offenem Mund da und raunen und staunen, was das Zeug hält. Welch ein Wunder!
Applaus für Menschen, die eine Zündschnur angezündet und zumindest viel Geld in die Luft gejagt haben. Geld, welches man unter Umständen besser hätte nutzen können. Vom Stresspegel der Tiere mal ganz abgesehen. Jeder, der einen Hund oder eine Katze daheim hat, weiß, was die Armen aushalten müssen.
All das hindert uns jedoch nicht daran, weiter zu klatschen und nahezu jedes Sommerfestival mit einem Raketenreigen zu krönen.

Und dann kommt da so ein beinahe unspektakulärer Sonnenaufgang daher. Sein Bruder, der Sonnenuntergang, hat immerhin noch das Privileg, dass Verliebte ihn ganz gern als Kulisse verwenden. Posen für ein Instagram-Foto – die Romantik bedient kaum Klischees.
Aber der Aufgang? Weckerläuten. Licht fällt ins verschlafene Gesicht. Aufstehen. Nein, geht gar nicht. Wir haben extra die Sommerzeit eingeführt, um das auch wirklich zu verpassen. Nur abends sollte es dann möglichst endlos hell bleiben, schließlich will man ja nicht im Dunkeln zusammensitzen. Der Mensch tickt schon eigenartig.

Jeder Tag ist erneut wie eine kleine Wiedergeburt, eingeleitet von einem Farbrausch, bei dem sich das Herz öffnet und man sich plötzlich ganz klein fühlen kann …
Die, die sich das Spektakel bewusst ansehen, sind sowieso verzaubert. Nur dringt es eben kaum an die Öffentlichkeit, weil man sich Sonnenaufgänge eher selten in der Herde ansieht.

Der Mensch ist ziemlich künstlich geworden. Nicht nur in dieser Hinsicht. Möglicherweise liegt dem fehlenden Enthusiasmus aber auch zugrunde, dass viele von uns nicht mehr so recht wissen, wem sie denn jetzt zu diesem Naturschauspiel applaudieren sollen …

2 Antworten auf „Künstlich

Hinterlasse einen Kommentar