Es ist Frühling – also zumindest laut Kalender. Das Wetter weiß das noch nicht. Es stürmt, es ist kalt und hin und wieder schneit es sogar. Natürlich gab es immer schon Wetterkapriolen in der Übergangsjahreszeit, aber mittlerweile sind die warmen Frühlingstage eher die Ausnahme – nicht selten heizen wir bis in den Mai hinein. Menschen neigen dazu, trotzdem alles genau so zu machen, wie sie es schon immer gemacht haben. So, wie es ihnen bereits die Eltern und Großeltern vorgelebt haben. Damals, als der Frühling noch lieblich-mild und pastellfarben war.
Wie besessen fallen sie sowohl über die Gartenmärkte als auch über das persönliche Stück Natur hinter ihrem Haus her und stürzen sich auf Unkraut und Co. Dem Wildwuchs geht es an den Kragen, im Zweifelsfall wird sogar die Nagelschere bemüht. Perfektion ist geboten. Wehe dem Halm oder dem Kraut, das nicht in den Rasen passt! Alles wird der Ordnung unterworfen.
Ich mache da nicht mit. Habe ich noch nie gemacht. Den Garten hinter meinem Haus haben meine Großeltern angelegt und über die Jahre durfte er sich entwickeln, wie er wollte. Alles, was bei mir wächst, haben Vögel, Bienen oder der Wind hergetragen. Meine Wiese hat Buckel und Kanten, aber ich würde sagen: Grün ist grün, oder? Hat nur Rasen eine Daseinsberechtigung? Fast habe ich mich geschämt für meinen Garten, wenn ihn wer gesehen hat, der zu Hause einen englischen Park besitzt. In meinem tummeln sich Insekten, Igel, Vögel und nachtaktive Tiere.
Ich traute meinen Ohren kaum, als ich vor zwei Tagen einen Werbespot einer bekannten Baumarktkette hörte, die mit Geräten zur Gartengestaltung gutes Geld verdienen. Die Botschaft lautete in etwa, dass man Pflanzen erlauben solle, Wurzeln zu schlagen und zu wuchern, denn die Definition von „Unkraut“ sei lediglich eine Frage der Perspektive. Applaus!
Wer hat eigentlich schwarze Listen für Pflanzen erstellt? Was darf in einen Garten und was nicht? Optimierungswahn scheint längst in der Natur angekommen zu sein.
Mir ist klar, dass man seinen Garten nicht verwildern lässt, dass man ab und zu den Rasenmäher anschmeißt und Sträucher sowie Bäume ein wenig stutzt, bevor es dem Nachbarn das Dach einschlägt. Ich finde jedoch, die meisten übertreiben maßlos. Und anschließend kommen sie mit Rückenschmerzen und allerlei anderen Beschwerden an.
Seit zwei Jahren gieße ich meine Wiese nicht mehr. Ich lebe in einer Gegend, die seit geraumer Zeit von großer Trockenheit bedroht ist. Seen, in denen wir früher schwammen, gibt es nicht mehr, der bekannteste davon hat massiv an Wasser eingebüßt. Die für die Landschaft typischen Salzlacken lassen sich nur mehr örtlich erahnen. Der Nationalpark, in dem ich lebe, dient den Zugvögeln als eine Art Zwischenlandeplatz auf ihrem Flug nach Afrika. Sie suchen mittlerweile verzweifelt nach Wasser. Wenn es so weitergeht, wird sich das gesundheitlich auf die Bevölkerung auswirken. Man denke nur an Sandstürme und die daraus resultierende Feinstaubbelastung. Der letzte ausgiebige Regen ist Monate her.
Ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, eine Rasensprenganlage aufzudrehen, nur, damit mein Rasen ein ästhetisch grünes Bild abgibt. Erstaunlicherweise ist mein Rasen trotzdem grün – zwar durchsetzt von braunen Stellen, aber er schafft es immer wieder. Ihm reichen die paar Tropfen, die der Himmel hergibt. So genügsam ist die Natur, da kann man direkt was lernen.
Ich höre Gegenargumente wie: „Wenn man schon einen Pool (!) hat, dann will man doch auch ein saftig-grünes Stück Rasen drumherum.“ Solchen Totschlagargumenten habe ich natürlich nichts entgegenzusetzen. Geht schon in Ordnung, dass man dann in einer ausgedörrten Landschaft zweimal täglich ordentlich Wasser vergeudet. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Ich spreche nicht für Bereiche, in denen Bewässerung existentiell ist, beispielsweise um Nahrung zu gewährleisten. Ich spreche von Hausverstand und einer gewissen Moral, einer Verpflichtung der Natur gegenüber. Jener Natur, der wir, so es zu Engpässen und ungewohnten Veränderungen kommt, unter die Arme greifen sollten – auch wenn es der Großvater noch anders gemacht hat.
Zeiten und Gewohnheiten ändern sich. Es wird Zeit, in der Gegenwart anzukommen und manches noch einmal zu überdenken.
Fotoquelle: Darf ich vorstellen? Mein Garten.