Gedankensplitter

Die stillen Krieger

Man könnte aktuell Krieg führen – wenn man wollte.
Ich fühle mich ab und an ziemlich überfahren.
Am liebsten durchlebe ich die Dinge in einer gewissen Stille, beobachte das Geschehen vorerst, als gleich darin mitzumischen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Situationen sich am besten regeln, wenn man nicht sofort vorprescht. Dann aber taucht die Frage auf: Stehle ich mich aus der Verantwortung? Andererseits hasse ich Unruhe, alles Laute – vor zu vielen Emotionen weiche ich zurück. Es ist wirklich nicht einfach.

Die aktuelle Gesellschaftsentwicklung macht mir teilweise Angst, ich fühle mich hilflos, manchmal zornig und ganz oft einfach nur traurig.
Wir kannten es nicht, dass wir auf einmal einer Willkür ausgesetzt sind, ob jetzt der von Politikern, eines Virus, des Lebens selbst, völlig egal. Das macht uns stellenweise ungläubig, fassungslos. 

Uns war nicht bewusst, dass Freiheit mehr als ein poetisches Wort ist. Plötzlich sehen wir sie in Gefahr, und keiner kann damit umgehen. Die einen schreien, die anderen folgen einfach, der Rest versucht, einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich kam nach einigem Nachdenken zum Schluss, zu dem ich in vergleichbaren Situationen schon öfter kam. Die ganze Welt werd ich nicht retten können, aber ich kann in einem kleineren Rahmen aktiv werden – nämlich in meinem Umfeld und bei mir selbst. Es wird unterschätzt, dass auch kleine Steine im Wasser Wellen schlagen. Man hat immer einen Kreis aus Menschen um sich, mit denen man auf einer Wellenlänge ist, sich konstruktiv austauschen und Inspiration weitergeben kann.

Manche marschieren für „die Sache“, benehmen sich aber ihrer unmittelbaren Umgebung gegenüber wie die Axt im Walde, kommunizieren zu Hause genauso gewaltsam wie für die Sache. Ist das dann authentisch?
Plötzlich haben alle Angst, man könnte ihnen etwas wegnehmen: Die nächste Flugreise, den Skiurlaub, das Feiern mit den Freunden – wir können uns ein Leben ohne Entertainment nicht mehr vorstellen, wie es scheint. Man weiß alles besser und hat, wenn es die anderen betrifft, erfolgversprechende Optimierungsvorschläge. Wie aber sieht es mit der Hygiene im eigenen Charakter aus?
Bitte versteht mich nicht falsch, ich finde es gut und richtig, sich für gewisse Dinge starkzumachen, aber davor würde ein gutes Stück Selbstreflexion nicht schaden. Gibt eine gute Basis.

Ich landete also bei dem Gedanken, dass, je weniger ich brauche in meinem Leben, niemand wirklich Macht über mich ausüben kann. Was will man mir wegnehmen? Man kann mir nach meiner Freiheit oder nach meinem Leben trachten, aber das ist ja bereits das Worst-Case-Szenario.
Der stillste Widerstand kann also sein, schon davor ein Leben zu führen, das nicht dauernd etwas benötigt, um es später nicht gewaltsam verlieren zu können. Wenn man die eigene Gesellschaft nicht ertragen kann und ständig Impulse von Außen braucht, könnte man sich vorerst darüber Gedanken machen. Bevor man sich anderen zumutet.

Es gab und gibt sie, die friedlichen Widerstandskämpfer. Sie sind jedem ein Begriff, Paulo Coelho nennt sie die „Krieger des Lichts“: Ghandi, Jesus, Martin Luther King, Steve Biko, Sophie Scholl usw. – sie „kämpften“ mit Gewaltlosigkeit und Wertschätzung für ihr Gegenüber. Shaolin-Mönche lehren, wie man siegt ohne zu kämpfen, die chinesische Wu-Wei Philosophie erzählt von passiver Aktivität, vom Annehmen und erst einmal innehalten. Handeln sollte man ausschließlich in wirklich entscheidenden Momenten. Mit klarem Kopf und einer souverän-gelassenen Grundhaltung. Bruno Palmer, der am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich Forschungsarbeit betreibt, brachte es auf den Punkt:

„Der erfolgreiche Widerstand ist gewaltfrei.“

2 Antworten auf „Die stillen Krieger

  1. Ich vermute, dass es an gemeinsamen Maßstäben fehlt.
    Was ist Freiheit, was Autonomie?
    Wann ist sie in Gefahr, was bedeutet „Kämpfen“ in einer Demokratie?
    Welchen Stellenwert hat die Frage nach dem Sinn?
    Welchen Status hat der Tod?
    Worin besteht ein gutes Leben?
    Am einen Ende der Welt sterben Kinder an Armut: kein Wasser, keine Nahrung, keine Medizin.
    Am andern Ende der Welt werden Menschen Millionäre durch das richtige Beantworten eines guten Dutzends Fragen.
    Dieses Mißverhältnis lässt sich nur ohne Maßstab ertragen.
    Wir haben unsere Humanität schon lange an den Wohlstand verabschiedet. Dieser Umstand kommt heute ans licht.
    LG Michael

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  2. Kann ich gut nachempfinden. Mir ist es zu Kräfte-zehrend, das ständige Empören. Und ärgern möchte ich mich auch nicht ständig, schon gar nicht über andere Menschen 🙂 Es gab und gibt immer einen Bodensatz Unbelehrbarer, damit muss die Gesellschaft wohl zurecht kommen.

    Liebe Grüße!

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