Liebe und Leben unterhalten sich auf einer Parkbank. Darüber, wie die Menschen mit ihnen umgehen.
Leben sagt:
„Ich kann dich gut verstehen! Mir werfen sie vor, dass ich in ihr Leben – Wortspiel! – reinpfusche! Als würde ich mir selbst in die Parade fahren. Sie vergessen ständig ihr Geschenk des freien Willens und ihre eigene Schöpferkraft. Aber das wäre ja auch Aufwand. Lieber machen sie mich dafür verantwortlich, wenn etwas nicht so läuft, wie sie sich das vorstellen und nennen mich dann SCHICKSAL. Ein wenig schmeicheln tut mir dieser Kosename schon, aber leider ist die Realität weit pragmatischer. Doch nicht immer muss ich herhalten, manchmal knöpfen sie sich dafür andere Menschen vor, die sie dann für ihr eigenes Drama verantwortlich machen. So gesehen müssten sie wissen, wie sich das anfühlt, wenn man zu Unrecht beschuldigt wird.“
Liebe sagt:
„Das mit den Anschuldigungen kenne ich gut. Mir werfen sie gleich ganz andere Kaliber vor die Füße. Ich habe ihr Leben – Wortspiel! – zerstört. Als würde ich dich, meinen besten Freund, zerstören wollen. Wir sollten uns jetzt wirklich bald als Paar outen, anders werden sie es nicht begreifen. Dass wir ihr Bestes wollen, dass wir sie lieben, dass wir uns ihnen schenken, Tag für Tag. Ihnen gefühlt eine Million Chancen in den Weg stellen, eigentlich müssten sie andauernd über ihre eigenen Füße fallen! Ihre Hartnäckigkeit, einen Bogen um uns zu machen, ringt mir fast schon wieder Respekt ab. Gott sei Dank bin ich weder nachtragend, noch belohne ich die, die die meisten Liebesfilme gucken. Ich bin fair und neutral. Würden sie endlich aufhören, mich mit meinem wilden Cousinchen VERLIEBTHEIT zu verwechseln, kämen sie mir ja viel schneller auf die Schliche. Aber ich bin ein tieferer Abgrund, ein Schlund, der sie zu verschlingen droht, der Hingabe will, ich bin eine Leidenschaft, die kühl ist – diesen Widerspruch, der keiner ist, den verstehen sie noch nicht. Ich bin was auf Dauer, kein Strohfeuer, das beim nächstbesten Zielobjekt schon wieder verglüht ist, aber genau das macht ihnen Angst. Ich bin Gefühl, keine Emotion, ich bin statisch, nicht flatterhaft und trotzdem sie meinen, ihre kleinen Affären wären schon spannend, haben sie keine Ahnung von dem Abenteuer, das sie mit mir erwartet.“
Leben sagt:
„Jetzt mach mal halblang! Bei deiner geschwollenen Ausdrucksweise müssen die sich ja ducken.“
Liebe sagt:
„Geschwollen, ja? Woher glaubst du, haben die Poeten ihre Lyrik, die Musiker ihre Leidenschaft und die Maler ihren Pinselstrich? Vom Verstand, dem schlechten Ratgeber?“
Leben sagt:
„Ist ja gut, MIR musst du dich nicht erklären, ich verbringe ja schon die halbe Ewigkeit neben dir. Nicht immer einfach, meine Liebe, aber im Leben – Wortspiel! – würde ich nicht auf deine Gesellschaft verzichten wollen. Aber unserem Kumpel, dem Verstand, tust du ein wenig Unrecht. Es schadet nicht, wenn sie ihn ab und an einschalten.“
Liebe sagt:
„Du weißt, Verstand und ich, das klafft manchmal auseinander. Nimm nur die Kandidaten, die lauthals tönen, dass sie mich unbedingt in ihrem Leben haben wollen und dann Sicherheit und gesellschaftliche Konventionen bevorzugen oder mit der Freiheit durchbrennen. Sie wollen alles von dir, liebes Leben. Das wird sich aber nicht immer ausgehen. Manchmal erfordert es klare und mutige Entscheidungen. Apropos: sag mal, ist der Mut eigentlich auf Dauerurlaub? Den hab ich ja seit einer Ewigkeit nicht mehr auf Erden gesehen. Aber lass uns nicht vom Thema abkommen, wo war ich gerade? Ja, bei den ganz harten Nüssen.
Wo ich nämlich wirklich schmerzlich berührt bin, ist, wenn sie aus Angst und Sehnsucht vor und nach mir oder dir beginnen, sich selbst zu verletzen, sich zu betäuben oder mit dem Essen aufhören. Würde ich dürfen, ich würde am liebsten zu jedem einzelnen Menschen hingehen, ihm aufhelfen und persönlich an die Hand nehmen. Aber wieder bleibt mir nur die Möglichkeit, dafür einen anderen Menschen als meinen Stellvertreter zu schicken. Meinst du, werden sie dies eines Tages verstehen? Und werden sie aufhören, die Liebe an Bedingungen und Äußerlichkeiten zu knüpfen? Wer hat ihnen diesen Unsinn erzählt, dass sie für mich zu dick, zu dünn, zu dumm, zu alt, zu jung, zu weit auseinander, zu nah beisammen, zu intelligent, zu aufgeklärt sind? Leben, ich schwöre dir, wenn du das warst…!“
Leben sagt:
„Als hätte ich diese Macht! Sie suchen in ihrem grenzenlosen Perfektionismus nach Göttern und begegnen dann doch immer wieder „nur“ einem Menschen. Je mehr Angst sie bekommen, desto höher schrauben sie ihre Ansprüche. Aber weißt du, ich glaube an unsere Schützlinge. Irgendwann werden sie begreifen, dass wir nicht ihre Feinde sind, keine Gefahr von uns droht, wir ihre stärksten und liebevollsten Gefährten und Wegkameraden sind.“
Liebe sagt:
„So ist es. Eines Tages werden sie unserer Einladung folgen, erkennen, dass man uns nicht bloß beobachten kann, will man uns wirklich erfahren. Lass uns geduldig mit ihnen sein. Sie weiter lieben und leben lassen. So gut sie es eben zum aktuellen Zeitpunkt vermögen.“
Wunderschön geschrieben 🙂
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Dankeschön! 🙂
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