Gedankensplitter · Gesundheit

Traumaheilung geschieht über den Körper (Teil 1)

Das folgende Thema werde ich auf zwei Beiträge aufteilen, weil es ansonsten zu unübersichtlich wird. Es liegt mir am Herzen und ich glaube, dass man tatsächlich einiges daraus mitnehmen kann. Heute soll die Theorie im Fokus stehen. In der nächsten Woche widmen wir uns dann der Praxis. Lasst uns direkt reingehen.

Man kennt das alte Spiel: Irgendein Satz, der Tonfall des Gegenübers, ein Blick oder eine bestimmte Situation lösen etwas in einem aus: Gereiztheit, Angst oder sogar Wut. Der Körper übernimmt und reagiert mit erhöhtem Puls sowie einer flacheren Atmung; Muskeln verspannen sich und der Darm spielt verrückt. Das Gehirn aktiviert seine urältesten Mechanismen, um eine vermeintliche Gefahr zu bannen – man wechselt in den Überlebensmodus.
Dabei schüttelt man innerlich den Kopf, weil man den Auslöser eigentlich als banal einstuft und sich fragt, warum man so überschießend reagiert. Der Verstand weiß, dass er in Sicherheit ist, allerdings spricht der Körper eine völlig andere Sprache. Willkommen im Feld der Trauma-Erinnerung.

Die Annahme, ein Trauma müsse grundsätzlich auf ein Erlebnis wie Missbrauch, Gewalt oder ähnlich schlimme Dinge zurückgehen, ist ein Irrtum. Mitunter ist noch nicht einmal maßgeblich, was einem passiert, sondern vielmehr, was eben nicht geschehen ist. Es handelt sich um all die Augenblicke, in denen man keinen Trost, keine Sicherheit oder Nähe erfahren, sondern Schmerz, Einsamkeit oder Verlustangst erlebt hat.
Das Trauma ist also nicht das Ereignis selbst, sondern das, was es in uns anrichtet. Das kann jede Form der Überforderung und der Hilflosigkeit sein, alles, was uns die Kontrolle aus der Hand nimmt. Wenn wir dann keinen Ort oder keine Möglichkeit finden, das Nervensystem wieder zu regulieren, speichert unser Körper diese Erfahrung – sie wird zum Reaktionsmuster, das sich nach und nach verfestigt. Auf diese Art und Weise lernen wir, in Sicherheit zu bleiben. Das ist kein Zeichen von Schwäche oder ein Mangel an Disziplin, sondern zeigt nur, dass die Systeme in uns funktionieren.

Ein klassisches Beispiel für ein Verhaltensmuster dieser Art ist das berühmte Nähe- und Distanzproblem. Wir wollen Nähe und wenn wir sie erlangen, macht sie uns Angst und fühlt sich ungewohnt an. Wir wollen uns entspannen, wollen loslassen, fühlen uns aber angespannt und wachsam.
Vielleicht ist das die erste und wichtigste Erkenntnis: Nichts an dir ist „kaputt“, wenn es dir so geht, dein Körper macht einfach nur, was er soll. Er ist nicht dein Feind, sondern dein Verbündeter. Er arbeitet nicht gegen dich, sondern für dich. Es ist also nur logisch, dass die Auflösung des Traumas niemals über die Verstandesebene geschehen kann, sondern einzig und allein über ebendiesen Körper.

Es geht nicht darum, sich „zusammenzureißen“, denn die Heilung von Traumata ist keine Frage des Willens, sie ist eine Frage der Regulation. Die Muster sitzen nicht im Kopf, sondern auf der Gefühlsebene – und deshalb wird es nie funktionieren, wenn man affirmiert, manifestiert, reflektiert oder sonst wie „an sich arbeitet“. Möglicherweise bewirkt man damit sogar das Gegenteil und ist am Ende enttäuscht, weil man wieder einmal einen Rückfall in alte Muster hatte.

Das Umfeld steht dem oft hilflos gegenüber. Verhaltensmuster werden als übertrieben und man selbst vielleicht als hysterisch eingestuft, weil man reagiert, als ginge es um Leben oder Tod. Die Tatsache, dass man sich nicht zur Sicherheit zwingen kann, muss von einem selbst wie auch von den anderen erst einmal verstanden werden. Logik ist hier völlig fehl am Platz.
Man kann sich hundertmal vornehmen, das nächste Mal anders zu reagieren, es wird wieder passieren, solange man das Problem nicht auf der Gefühlsebene löst. Kontrolle kann demnach nicht die Lösung sein und auch nicht, alles verstehen zu wollen. Vielmehr sollte man die schrittweise Beruhigung des Systems im Fokus haben.

Es ist ein bekanntes Procedere: Man hat Bücher gelesen, tief in die Vergangenheit geblickt, analysiert, was das Zeug hält, Gesprächstherapien besucht – und doch hat sich nicht das Geringste verändert. Man hat nichts falsch gemacht, bloß den falschen Zugang gewählt. Deshalb weg vom ständigen Nachdenken und Darüber-Reden, hin zum Fühlen.

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