Vor einiger Zeit habe ich ein Buch über das Training der Shaolin-Mönche gelesen, in dem die Säulen ihrer Philosophie vorgestellt wurden. Man muss sich keinem Kampfsport hingeben oder in eine klösterliche Gemeinschaft eintreten, um von ihrer Strategie zu profitieren, denn diese lässt sich auch wunderbar gegen die Stolperfallen des Alltags anwenden. Der „Kampf“ der Shaolin ist ein sanfter – was mich ein wenig an das Wu-Wei erinnert.
Ein Prinzip, welches uns manchmal zur Realisierung eines Wunsches fehlt, ist das der Entschlossenheit. Es existiert also definitiv ein Unterschied zwischen Wollen und Entschlossen-sein. Haben wir das nicht alle schon einmal verwechselt?
Wie unglaublich schön kann sich so eine Idee im Kopf anfühlen? Die spannendsten Szenarien kreieren wir im Tagtraum. Die meisten wissen doch genau, was sie wollen – oder etwa nicht? Woran scheitert es letztendlich?
Ehrliche Bestandsaufnahme: Zu wie vielen Dingen sind wir auch entschlossen – inklusive aller Konsequenzen? Wie oft trauen wir uns tatsächlich, unsere Komfortzone zu verlassen, die im Angesicht der „Gefahr“ auf einmal unwiderstehlich warm und behaglich wirkt? Man lässt sich eher unwillig daraus wegholen, selbst wenn das große Glück an die Tür klopft.
Der Shaolin-Meister meint, wenn wir zu einer Sache entschlossen sind, dann sprechen wir nicht mehr länger über das Wollen, weil sie sich dann bereits erfüllt hat. Ich weiß, das klingt spirituell. „Irgendwann-wollen“ oder „Eigentlich-schon-wollen“ fallen dabei unter „Nicht-wollen“.
Er philosophiert weiter: Über eine Sache, für die man sich wirklich entschlossen hat, kann man etliche Male schlafen – der Beschluss bleibt, der ist in Stein gemeißelt. Alles, was eine einzige Nacht des Zauderns und Zweifelns über den Haufen werfen kann, sollte man als Vision überdenken. Da ist nämlich noch das gute alte Ego, das am laufenden Band Wünsche ins Rennen schickt. Die Seele jedoch weiß es besser, folglich ergibt das Zögern in einem solchen Fall durchaus Sinn.
Weil es bequemer ist, machen wir auch gern äußere Umstände und Menschen für das Scheitern einer Idee verantwortlich. Frei nach dem Motto „Ich hätte ja wollen, aber …“ nicken wir heftig zum vermeintlichen Wunsch und errichten gleichzeitig dicke Mauern aus Ausreden und Ausflüchten. Gerade passt es eben nicht. Der Magie des viel zitierten Neuanfangs scheinen wir in letzter Instanz selten zu vertrauen.
Auch mir kamen oft derartige Einfälle. Warum aber habe ich zahllose davon nicht umgesetzt? Wenn ich tiefer grabe, dann stoße ich wie die meisten von uns auf Angst vor Veränderung, vielleicht sogar auf Widerstand gegen die Erfüllung. Ist es nicht häufig so, dass uns der Gedanke ans Ankommen insgeheim die Knie zittern lässt? Denn was dann? Es wäre naiv anzunehmen, dass von dort ein von Blümchen gesäumter Weg ins Wunderland der guten Alice führt.
Sicher, manches braucht Geduld und Reife. So etwas sollte man nicht vor seiner Zeit erzwingen und in die Gegenwart zerren. Wahrscheinlich gibt es ihn auch da, den goldenen Mittelweg zwischen entschlossenem Handeln und einem gesunden Zögern. Aber vermeiden wir doch, uns zu Marionetten der Gesellschaft und des Umfeldes, unserer Ängste und Bequemlichkeiten zu machen. Das nämlich entfernt uns von jeglichem Ziel.
Genau das dürfte Mahatma Gandhi gemeint haben, als er sagte: „Unsere Taten zählen. Gedanken sind, so gut sie auch sein mögen, wie unechte Perlen, solange sie nicht in Taten verwandelt werden.“
Beim eingangs erwähnten Buches handelte es sich um „Shaolin – Du musst nicht kämpfen, um zu siegen“ von Bernhard Moestl, erschienen im KNAUR Verlag.
