Vielleicht kennt ihr das: Man findet sich in einem Thema wieder und liest sich ein. Schließlich stößt man auf eine Tabelle und prüft, wie viele Anzeichen auf einen selbst zutreffen – alles in der Hoffnung, endlich seine Nische gefunden zu haben.
So ging es mir mit der Hochsensibilität. Eigentlich hätte ich kein einziges Buch und erst recht keine Auflistung der verschiedenen Anzeichen gebraucht, denn ich fühlte von frühester Kindheit an, dass ich ein wenig anders ticke als die meisten. Mein Hirn jedoch verlangte nach Bestätigung und wollte jeden Irrtum ausschließen können – also her mit Literatur, Podcasts und sogar einem Lehrgang, der mich zur „Expertin“ machte.
Dort traf ich auf viele andere HSP. Man ging in den Austausch und entdeckte zahlreiche Übereinstimmungen. Das Ergebnis: kollektive Freude darüber, wie ähnlich man doch tickte. Ich aber saß da und fühlte mich – wieder einmal – wie eine Exotin inmitten einer Herde, zumindest in einigen Punkten.
„Doch“, ließ ich verlauten, „ich kann Thriller und verstörende oder beängstigende Filme und Serien schauen und den Kick sogar genießen.“ Entsetzte Augen, die mich anblickten. Nein, wirklich? Aber das würde doch meine HS triggern. Ich könne im Anschluss daran doch unmöglich gut schlafen, ganz ohne Alpträume. Doch, konnte ich.
Das Gruseln vor dem Zubettgehen ist ein eigenes Kapitel, aber was wäre das Leben ganz ohne Nervenkitzel?
Nein, ich bin nicht ausschließlich in der Natur unterwegs, um mich zu erden, zu sammeln oder um emotionalen Ballast loszuwerden. Ich bin sogar herzlich wenig dort. Vielleicht, weil es, wo ich lebe, nicht den reizvollsten Flecken Natur gibt. Trotzdem liebe ich sie, entlockt sie mir doch Mal um Mal demütiges Staunen.
Nein, ich bin bestimmt auch kein permanent empathisch-sanftes Wesen. In mir schlummert ein Vulkan, jederzeit bereit auszubrechen, wenn ich meine, die Situation erfordert es. Manchmal geht mir die Empathie, die einen jede auch noch so negative Atmosphäre von Orten oder Menschen aufnehmen lässt, sogar gehörig auf die Nerven.
Doch, ich mag auch laute und intensive Musik, wenn sie gut ist. Sie darf über Harfenklänge und Meditationsmusik hinausgehen. Mir wurde eine CD von Dornenreich geschenkt – anscheinend traut man mir etwas zu. Was ich nicht mag, sind laute Nebengeräusche, die eine Szenerie einfach nur unerträglich machen, oder stumpfe Dauerbeschallung.
Ja, meine Feinfühligkeit und oft sogar Hellsichtigkeit sind definitiv ausgeprägt. Manchmal irre ich mich jedoch auch, weil mein Bauch gerade einfach von Angst oder Zweifeln fehlgeleitet wird. Oder von Hunger.
Zu guter Letzt: Nein, ich weiche nicht jeder Situation aus, die mich herausfordern oder eventuell triggern könnte. Im Gegenteil, es hat den Anschein, als würde ich sie ab und zu geradezu suchen, um mich lebendiger fühlen zu können. Ich möchte kein Leben unter einem Glassturz führen – sehr wohl aber eines in meiner eigenen Blase, mit den Reizfaktoren, die ich mir selbst aussuche.
Ich bin hochsensibel und mitunter bin ich unglaublich hochsensibel. Meine Übereinstimmung bei diversen Tests war mehr als eindeutig, soweit ich mich erinnere. Trotzdem will ich Intensität und Reize, will mich erfahren und spüren. Das Ausmaß habe ich allerdings noch immer lieber selbst in der Hand, sonst wird es nämlich schnell ziemlich „HS.“ 😉

Einer Frau steht dies besser zu Gesichte als einem Mann. Hängt mit diesen längst überkommenden Klischees zusammen. Selbst habe ich keinen Test gemacht, ich weiß, es betrifft mich auch. Und so reagiere ich selten immer noch über, mach den unglaubwürdig Harten mit der großen Fresse 🙂
Ich habe nicht zuletzt dagegen getrunken und Drogen konsumiert, 22 Jahre lang. Es ist eine Gnade, dass am Ende noch genug von mir übrig war. Heute (nach über 6 Jahrzehnten) kann ich alles in allem damit gut umgehen.
Liebe Grüße, Reiner
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Danke, lieber Reiner, für deine offenen Worte.
Es geht vor allem darum, dass DU damit gut klar kommst. Und versucht, es zu verbergen oder sich anzupassen, das haben wir alle. Ich freue mich für dich, dass du deinen Weg gefunden hast. Liebe Grüße, Heidi
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