Poesie

„Schlaflied für dich“

Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942) ist eine ukrainische Dichterin, deren Werk man mittlerweile zur Weltliteratur zählt. Vielleicht hat jemand von euch auf meinem Blog das „Sehnsuchtslied“ gelesen, welches zu meinen Lieblingsgedichten gehört.
Ihrer Lyrik wohnt eine Melancholie, fast Schwere inne, die dennoch fragil und leichtfüßig erscheint. Diesen Gegensatz kenne ich nur zu gut. Der folgende Auszug aus „Schlaflied für dich“ kam mir in den letzten Tagen immer wieder in den Sinn.

Komm zu mir, dann wieg‘ ich dich,
wiege dich zur Ruh‘.
Komm zu mir und weine nicht,
mach die Augen zu.

Ich flechte dir aus meinem Haar
eine Wiege, sieh!
Schläfst drin aller Schmerzen bar,
träumst drin ohne Müh‘.

Ich würde mich als fürsorglichen Menschen beschreiben. Allein schon aufgrund meines Berufes als Therapeutin ist es mir ein Anliegen zu helfen, Schmerzen zu lindern. Dennoch gibt es feine Unterschiede – wie beurteilt man dies auf der persönlichen, emotionalen Ebene?
Ein Helfersyndrom ist kein Beweis für Liebe – manchmal ist es gar das Mittel, um welche zu bekommen.

Ich wollte als Kind einen geliebten Menschen retten, auch wenn das natürlich unbewusst geschah. Einen Teil davon habe ich in die Gegenwart mitgetragen, aber in den letzten Jahren hat sich etwas geändert.
Ich bin nicht mehr das Kind, nicht mehr ohnmächtig, nicht mehr hilflos. Ich muss mir Zuneigung nicht verdienen, ich musste es nie. Niemand muss das.

Wenn ich heutzutage dieses Gedicht lese, lächele ich. Ich will niemanden mehr retten, ich habe mich befreit. Dennoch löst jedes Wort Zustimmung in meinem Herzen aus. Nun ist diese Zuneigung jedoch frei von Schwere – und das nimmt der Fürsorge jede Bedingung.

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