Hochsensibilität

Hochsensibiliät: Bin ich es auch?

Woher weiß man eigentlich, dass man hochsensibel ist? In Zeiten wie diesen, in denen mit Begriffen nur so um sich geworfen wird, sollte man klar differenzieren. Nicht jeder Mensch, dem Licht zu grell ist oder Menschenmassen zu viel sind, ist automatisch hochsensibel. Diese spezielle Art der Reizaufnahme bzw. deren Verarbeitung umfasst weit mehr als das. Vor allem sollte man sie weder als schickes Accessoire betrachten, mit dessen Hilfe man sich interessant machen und von der Masse abheben kann, noch als Begründung für die Forderung nach Dauerverständnis missbrauchen.

Dafür sollte man sich im Gegenzug jedoch unbedingt trauen sie anzunehmen, und so ihre Gabe zwischen all den „Nebenwirkungen“ erkennen.
Wäre es also möglich, dass auch du es bist?

Vielleicht kann ich mit den folgenden Zeilen ein wenig Licht auf die Sache werfen.

Eine hochsensible Person bemerkt diese spezielle Feinfühligkeit bereits in jüngster Kindheit … und ihre Eltern übrigens auch. In der Retrospektive kann ich sagen, dass ich natürlich nicht wusste, dass es dafür, wie ich die Welt wahrnehme und mich in ihr zurechtfinde, einen Namen gibt. Am ehesten lässt es sich wie folgt zusammenfassen: Ich bemerkte recht früh, dass ich ein wenig „anders“ laufe als mein Umfeld, dass ich auf alles viel eher und intensiver reagiere, mehr Zeiten für meinen Rückzug und die Reizverarbeitung brauche und mich deshalb immer ein wenig „wie von einem anderen Planeten“ fühlte. Zumindest fiel es mir leichter, das Treiben meiner Mitmenschen von außen zu beobachten, als mich direkt hineinzustürzen.

Wenn andere Kinder in Cliquen zum Schwimmen fuhren oder im Freien tobten, war ich das Kind, das lieber in seiner Sandkiste im Garten der Eltern saß oder ein Buch las – alleine. Ich vermisste nichts, meine Innenwelt war schon damals so bunt und weit, die besten Spiele kreierte ich ganz für mich allein.
Bereits da begann ich zu begreifen, dass das, was für andere langweilig und nach Stubenhockerei klingt, für mich wahrer Genuss ist. Zeit für mich, fernab aller Reizquellen, bezeichne ich auch heute noch als wahre Qualitätszeit – was nicht bedeutet, dass ich währenddessen inaktiv bin. Im Gegenteil: Ich betätige mich körperlich, sportlich, kreativ, gehe den Dingen nach, die mich glücklich machen. Danach habe ich wieder die Ressourcen, in die Welt hinauszugehen und Patienten in meiner Praxis zu helfen oder mich mit Freunden zu treffen – wobei mir eine Unterhaltung mit einem einzelnen Menschen lieber ist, als einem laut-fröhlichen Stammtisch beizuwohnen.
Kunst und Kultur geben mir ebenfalls viel, doch auch da bin ich gern alleine oder mit einem Menschen unterwegs, der das gleichermaßen spürt, nicht bloß konsumiert.

Es kam der Zeitpunkt, an dem ich mich fragte, warum es alle so lieben, in den Urlaub zu fahren, mich allerdings bereits der Gedanke daran stresst. Ich bin nicht gern in fremder Umgebung, all den neuen Eindrücken schutzlos ausgeliefert. Bevor ich die Magie eines wunderbaren Ortes richtig genießen kann, muss ich viele Reize herausfiltern. Das kann ein wenig dauern. Außerdem sollten dabei noch möglichst wenig andere Menschen anwesend sein. Ihr seht, es ist nicht immer einfach. 🙂
Davon abgesehen habe ich ohnehin selten das Gefühl, wegen irgendetwas abschalten zu müssen, denn ich versuche, bereits in meinem Alltag eine gute Balance zu halten. Anscheinend bin ich auch nicht gelangweilt oder übersättigt, sodass es immer neue Orte sein müssen … wobei es natürlich Plätze auf diesem schönen Planeten gibt, die ich äußerst gerne aufsuchen würde: Das Herzensland, manch mystischen Kraftort etc.

Hochsensible Menschen haben eine eigene Art zu denken, die sehr komplex und analytisch ist, die sich in Bildern ausdrückt. Manchmal kann das zu mehr Grübeleien und Kopfkino führen, als gesund für einen ist. Das bereichert zwar das Innenleben, erzeugt aber Unruhe, wenn es von außen auf einen prallt. Es wird schnell mal alles zu viel, viel eher, als es bei den Mitmenschen der Fall zu sein scheint. Sie wirken meist robuster, abenteuerfreudiger und toleranter den Reizen gegenüber als man selbst.

Beides ist in Ordnung! HS ist keine Diagnose, es ist eine Laune der Natur, eine Veranlagung, die keiner Therapie bedarf. Es ist okay, ein wenig „anders“ zu funktionieren als die meisten um einen herum. Mit gegenseitigem Verständnis und Respekt können wir einander unterstützen und bereichern, denn beide haben Superkräfte: Hoch- wie normalsensible. Mir ist auch wichtig zu erwähnen, dass jemand, der nicht hochsensitiv ist, nicht automatisch unsensibel ist. Das wäre zu einfach gedacht und schlichtweg falsch. Für manche gibt es einfach nur einen guten Grund, es ruhiger anzugehen.

Es existieren eine Menge Tests, um festzustellen, ob man hochsensibel ist. Man sollte sie ehrlich beantworten, in sich hineinhorchen. Ich selbst bin von diesen Tests allerdings nicht allzu überzeugt. Man findet sich darin zu schnell wieder, sie sind mir zu allgemein, zu wenig differenziert – aber das nur am Rande.

Eine hochsensible Person weiß und spürt, dass sie hochsensibel ist, aber nicht, weil sie auf einem Fragebogen angekreuzt hat, dass ihr Kunst nahegeht und sie Thriller schwer aushält. Hochsensibilität macht so viel mehr aus als das. Es ist das tiefe Empfinden, alles intensiver wahrzunehmen, ob man will oder nicht. Es ist die Zeit, die es benötigt, bis man gelernt hat, damit arbeiten zu können. Es ist die höchst treffsichere Intuition und vor allem ist es das Wissen, dass Rückzug nicht bloß Wunsch, sondern eine Notwendigkeit ist.

2 Kommentare zu „Hochsensibiliät: Bin ich es auch?

  1. Ich kann dir versichern, als Kind fühlte ich mich einfach nur scheiße, ein totaler Außenseiter. Und meine Eltern merkten gar nichts, die waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Meine Therapie bestand aus 22 Jahren Alkohol- und Drogenmissbrauch und endete natürlich in einem Fiasko. Aber ohne dem hätte ich mich vermutlich umgebracht. Heute dagegen wird das alles thematisiert, Gott sei Dank.

    Liebe Grüße!

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    1. Das tut beim Lesen weh … aber toll, dass du es dann aus eigenem Antrieb geschafft hast. Manchmal müssen die Themen auf den Tisch, es hilft nichts.
      Eines meiner nächsten wird das der Co-Abhängigkeit sein, hier kann ich ebenso aus Erfahrung berichten.
      Danke für deine offenen Worte, liebe Grüße zurück!

      Gefällt 1 Person

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