Gedankensplitter

Maskulinität 2.0?

Den heutigen Text widme ich meinen Lesern.
Verratet mir: Ist es aktuell einfach, ein Mann zu sein? Oder blickt ihr zwischen den ständig wechselnden Idealen, die die Gesellschaft als Leitbild für den „richtigen“ Mann hervorbringt, allmählich nicht mehr durch? Ich gestehe, ich tue es nicht.

Ein Männerbild, das sich über Jahrzehnte halten konnte und bei dem wir uns ziemlich einig sind, dass es eher suboptimal war (ist?), ist das vom viel zitierten Patriarchat geprägte: der Mann als Versorger und Ernährer; das Oberhaupt der Familie, genauso wie in den meisten Unternehmen, und dadurch auch der, der bestimmt, wo es langgeht. Seine Pflichten waren von ziemlich vielen Freiheiten begleitet, die er sich auch wie selbstverständlich herausnahm.

Irgendwann erschien dann der sensible Frauenversteher auf der Bildfläche. Der, der für den Nachwuchs in die Vaterkarenz geht, der sich sein Baby auch mal an den Bauch schnallt, seine Gefühle zeigt und in der Kita mitbastelt. Frauen gesteht er ihre eigene Karriere zu, behandelt sie äußert respektvoll und nimmt sich generell gern zurück. Allerdings wurde ihm ganz schnell die Rolle des ewig besten und dadurch entsexualisierten Freundes attestiert. Ob das tatsächlich der Fall war, vermag niemand final zu sagen.

Seither scheint sich die Vorstellung des idealen Mannes immer wieder sprunghaft zu wandeln – und gleichzeitig schwammig zu bleiben. Ein Leitbild, das zugleich fest umrissen wie schemenhaft daherkommt.

Nun zeichnet sich aktuell aber ein Trend ab, den ich persönlich bedenklich finde. Durch den Fokus, den man wie mit einem Laser auf das Verhalten der Männer richtete, als der Feminismus energischer wurde, und durch die permanenten „So ist es richtig!“-Stempel wurde der vor allem junge Mann zusehends unsicherer. Wie soll er sein, damit er dem gewünschten Bild entspricht?

Eine plötzliche Orientierungslosigkeit scheint um sich zu greifen, die Männer Rolemodels wie einem Andrew Tate nachlaufen lassen. Es gibt Dokumentationen, die zeigen, wie Studenten einen Donald Trump verehren, den vermeintlich geborenen Anführer. Da wird einem angst und bange. Wer die Netflix-Serie „Adolescence“ gesehen hat, ahnt, zu welchen Auswüchsen das führen kann – Stichwort: Incels.
Es ist ein leichtes, junge Erwachsene zu ermutigen, sich doch wieder zum Archetyp des Urmannes zurückzuentwickeln, der auf die Jagd geht: auf Tiere und gerne auch auf seine Geschlechtsgenossinnen. Der mit bloßen Händen Feuer macht und dem sowieso nie kalt ist. Interessant ist, dass eine weit geringere Prozentzahl an Frauen sich in die traditionelle Rolle zurückbegeben möchte. Woran könnte das liegen? 😉

In mir warf all das Fragen auf. Ich fing an zu erkennen, wo ich mir selbst in der Vergangenheit leider zu wenig Gedanken gemacht hatte und wahrscheinlich ebenso leichtfertig Klischeebildern eines „echten Kerls“ aus Hollywoodfilmen und so mancher Literatur gefolgt war.
Dass ich Eddie Redmayne als Mann gut fand, wusste nur mein Freundeskreis. Bei allen anderen hatte ich das Gefühl, rechtfertigen zu müssen, was ich an einem Mann, der nicht mit dichtem Bartwuchs und muskulösem Körperbau punktet, anziehend finde. Im Übrigen wahrscheinlich genau das, dass er immer dazu stand und nie einer sein wollte, der er nicht ist. Eddie hat Humor, ein begnadetes Talent und hey, er ist eine Modeikone! Da verzeiht man ihm doch gerne, dass er sich sein Abendessen nicht selbst erlegt, oder?

Gibt es den Ur-Mann überhaupt? Existiert das „typisch Männliche“ oder haben wir es zu einem Ideal, einer Norm erhoben, weil es uns lange genug von der Industrie suggeriert wurde? Würde es uns – Männern wie Frauen – ohne diese teilweise veralteten Rollen eventuell besser gehen, wenn wir einfach Menschen, lebende, atmende Individuen sein dürften, die sich völlig frei entfalten können, ohne ein Bild erfüllen zu müssen? Die Gefahr besteht meines Erachtens darin, dass wir immer wieder hergehen und neue Rollen kreieren, wenn die alten schließlich ad absurdum geführt wurden. Laufen wir also Mal um Mal gegen dieselbe Wand?

Dazu möchte ich den Männerpsychologen und Autor Markus Theunert ins Feld führen, der es für mich fantastisch auf den Punkt gebracht hat. Er spricht von einer aktuellen, „männerideologischen Radikalisierung“ und hat auf die Frage, wie denn nun gelungene Männlichkeit aussehen könnte, einen sehr stimmigen Lösungsansatz.
Für ihn gehe es darum, keine neuen Normen zu setzen und damit zu implizieren, der neue Mann müsse jetzt so oder so sein. Stattdessen solle man ihm Kompetenzen vermitteln, sodass er aus diesen selbstzerstörerischen, patriarchalen Prägungen eigenmotiviert herauswachsen könne. Laut ihm sei das insbesondere die Kompetenz, für sich selbst zu sorgen und nicht wahllos und reflexhaft auf weibliche Zuwendung zuzugreifen.
Ganz besonders ginge es auch darum zu lernen, Dinge zuzulassen sowie vom Grundprinzip männlicher Sozialisation – sich und seine Umwelt in jeder Lebenssituation im Griff haben zu müssen – abzurücken. Darum, sich lockerzumachen und vor allem Vertrauen in das Leben und sich selbst zu erlangen. Der Mann muss nicht alles schaffen, alles können, überall der Starke sein.
Nein, er darf er selbst sein, ganz so, wie er das in sich spürt.
Ich glaube, er meint damit eine gewisse Leichtigkeit sich selbst gegenüber, die dann ganz automatisch auf die Gesellschaft und auch auf die Beziehungen überschwappen kann. Die dem Mann erlaubt, sich nicht dieser Rückbesinnung auf alte „Werte“ und einem krampfhaften Festhalten an überholten Rollenbildern hinzugeben.

Darüber habe ich nachgedacht und festgestellt, dass es faszinierend ist, Männer auf diese Art und Weise zu sehen: nicht den „Kerl“ in ihnen, sondern einen Menschen, in all seiner Individualität.

(Quelle: Sternstunde Philosophie| SRF Kultur: „Mannsein heute – zwischen Stärke und toxischer Männlichkeit“)

9 Kommentare zu „Maskulinität 2.0?

  1. Nun, für mich fängt es ja schonmal damit an, dass man keine Gruppe in der Gesellschaft über einen Kamm scheren kann. Genau genommen überhaupt niemanden, denn wir sind alle unterschiedlich, individuell und anders. Das ist auch gut so, aber in den Köpfen der Leute scheint es dennoch immer noch nicht wirklich angekommen zu sein.

    Nichts ist „typisch Mann“, „typisch Frau“, „typisch Chef“, „typisch was-weiß-ich“. Diese Klischee-Bilder sind nichts anderes, als gesellschaftliche Konstrukte, die nach erfundenen Regeln zusammengebastelt und irgendwann von irgendwem mal für „gut“ befunden wurden. Und so hält es sich weiter hartnäckig, dass Männer bpsw. stark zu sein haben, keine Emotionen zeigen geschweige denn weinen dürfen und bloß nicht über Gefühle sprechen dürfen. Denn wenn man(n) das macht, schwenkt der Fokus sofort um und der Stempel des „Sensibelchens“ wird aufgedrückt.

    Wir müssen endlich verstehen und akzeptieren, dass jeder Mensch eben so ist, wie er ist. Nur so gelingt es, dass wir als Gesellschaft wieder näher zusammenrücken und uns mit Verständnis, Respekt und Toleranz begegnen, anstatt die Kluft weiter aufzureißen.

    Gefällt 1 Person

  2. Tja, ich glaube, dass Männer es heute tatsächlich nicht einfach haben 😂, in der Elterngeneration war der Mann oft noch patriarchalisch, so wollten sie schon mal nicht sein, kommt ja auch nicht so gut an, aber ist es dann oft nicht eher eine extrinische Motivation, das Gefallen wollen, „ein Guter sein“? Ein Peoplepleaser zwingt das Gegenüber oft in eine dominante Rolle. Eine, die vorgibt, wie etwas zu sein hat, die, die Verantwortung für alles trägt und gibt, gibt, gibt – bis zum Umfallen. Ich beispielsweise, möchte so nicht sein, ich möchte Gegenseitigkeit, etwas auf Augenhöhe. Ich würde mir wünschen, dass mehr Männer eben wirklich intrinsisch handeln und verstehen würden, dass es nicht darum geht, der Gesellschaft zu gefallen. Sondern sie selbst authentisch, eigenverantwortlich und klar sein wollen.

    Gefällt 1 Person

    1. Das sind doch alles Archetypen aus dem Tarot. 😅 Okay, den Triebgesteuerten kannte ich noch nicht aus dem Kartendeck.
      Nein, im Ernst: So ist es, wir alle sind vielfältig und in erster Linie mal einfach existierende Wesen. Die man im besten Fall nicht formen und zuordnen sollte.
      Alles Liebe.

      Gefällt 1 Person

  3. Ich bin kein Freund von Schubladen. Und daher sortiere ich Männer auch nicht unter extrem maskulin, Mittelmaß und extrem Softy ein. Ganz im Gegenteil, denn ich mag keins dieser Extreme, sondern bevorzuge den selbstständigen und respektvollen Mann mit den drei H’s: Hirn, Herz und vor Allem mit Humor.
    Aber ich denke, auch für die von dir beschriebenen Männergruppen gibt es die jeweils passenden Gegenstücke, so dass jedes Modell seine Daseinsberechtigung hat.
    😀
    LG Bea

    Gefällt 2 Personen

    1. Schubladen sind nie gut, weil sie das Denken von Menschen begrenzen und Stereotypen erzeugen.
      Mir ging es auch vorrangig nicht um das perfekte „Match“ 😊, sondern darum, dass man in diesem Fall die Männer nicht ständig mit neuen Idealen fangen und manipulieren soll. Sie so sein lassen, wie sie das wollen.
      Liebe Grüße!

      Gefällt 1 Person

      1. Genau, so sollte es sein. 🙂 Und vor allem sollte alles freiwillig sein und nicht erzwungen werden, weil der mainstream es gerade so will.
        Liebe Grüße retour <–

        Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar