Egal, wohin man schaut, man kann einen rasanten Fortschritt beobachten – ob in der Technik oder in der Forschung. Neue Erkenntnisse, so weit das Auge reicht. Wer sich aber scheinbar zurückentwickelt, ist der Mensch selbst.
Warum ist das so? Ist alles zu viel geworden, zu schnell, zu dicht? Kommt er nicht mehr hinterher, hat er Angst? Fürchtet er um sein leibliches und geistiges Wohl? Oder einfach nur um seine privilegierte Bequemlichkeit in gewissen Teilen der Welt? Wie sonst lässt sich erklären, dass die Extreme immer mehr in der sogenannten „Mitte“ landen?
Traditionen werden nicht mehr nur nostalgisch verklärt, von wegen „Früher waren alle zufriedener und glücklicher“, nein. Aktuell werden sie förmlich aus der Vergangenheit hervorgezerrt und dann so richtig hochgehalten.
Die Kommunikation scheint sich zu verändern. Eine gewisse Polemik erreicht die Gesellschaft, für die man sich noch wenige Jahre zuvor die Hand vor den Mund gehalten und geflüstert hätte. Da werden Dinge mit einer Klarheit und Offenheit ausgesprochen, die zuvor mit massivem Unbehagen einhergegangen sind. Das Schüren von Angst, das Verbreiten von Fake News und Verschwörungstheorien, die Suche nach einem Sündenbock in den Reihen der Minderheiten aller Art und das überdimensionale Misstrauen gegen die „Eliten“ sind mit voller Wucht in der Gesellschaft aufgeschlagen und verbreiten sich über die sozialen Medien wie ein Waldbrand. Natürlich erreicht dies auch Menschen, die sich nicht weitreichend informieren und selten die Quellen ihres neu erlangten „Wissens“ kennen. Würde man tiefer graben und in Erfahrung bringen, was sich hinter so manch witzigem Meme, dem salbungsvoll sprechenden spirituellen Guru oder der vermeintlich versierten Heilpraktikerin verbirgt, würde man staunen.
Den Leuten, die sich wirklich informieren, die bestrebt sind, nach allen Seiten zu forschen, zu entdecken und zu erkennen, die Fragen stellen – sich selbst und in Folge uns allen –, denen hört man nicht mehr zu. Menschen scheinen zu vergessen, dass sie ohne die Wissenschaft und die Klugheit vieler neugieriger Entdecker nicht dort stünden, wo sie es aktuell tun. Der heutige Standard wäre gar nicht möglich ohne diesen Fortschritt. Die Errungenschaften dieser unzähligen intelligenten Köpfe werden ganz selbstverständlich genutzt. Und trotzdem geht man erst einmal auf Distanz zu ihren Schöpfern. Männern und Frauen der Wissenschaft, der Philosophie oder Psychologie, der Forschung etc. scheint man keine Beachtung mehr zu schenken.
Wirken deren Inhalte zu wenig spektakulär? Zwingen sie den Menschen in ein Umdenken, zu dem er nicht bereit ist? Möglicherweise. Kurios, dass ein gewisses Nachdenken vorerst vermutlich sogar reichen würde. Aber es kann eben unbequem werden, wenn man sich mutig den Veränderungen stellt, wenn man sich selbst hinterfragt, wenn man Eigenverantwortung übernimmt, anstatt zu lamentieren, dass dieses viele „Multikulti“ uns in der scheinbaren Sicherheit althergebrachter Traditionen bedroht. Ja, nicht alles ist in bester Ordnung, und ja, es kam zu vereinzelt schlimmen Vorfällen. Doch dafür verurteilt man nicht pauschal ganze Bevölkerungsgruppen, sondern immer noch das Individuum.
Junge Männer feiern fragwürdige, ja, gefährliche Staatsoberhäupter, weil sie ihnen Vorbild sind und ihnen zurückgeben, was der Feminismus ihnen angeblich gestohlen hat. Bekommen sie tatsächlich etwas zurück? Oder stößt man sie nur in verkrustete, längst überholte patriarchale Strukturen, die ihnen irgendwann auf den Kopf fallen? Die Rolle der Frau ist dann genau WO angesiedelt?
Wozu brauchen wir die vielen Rollenbilder eigentlich? Alle rufen lautstark nach „Freiheit und Frieden“ und sind auf dem besten Weg, genau das zu Grabe zu tragen. Parteien, die jeden demokratischen Gedanken ad absurdum führen, werden gestärkt, und die vormals „gemäßigte“ Mitte sieht zu. Teilweise scheint sie sich sogar mitreißen zu lassen, weil sie gekonnt manipuliert wird.
Man geht lieber zum Heiler als zum Arzt, folgt kruden Ernährungstipps, fürchtet sich vor Chemtrails, legt sein Schicksal in die Hände von Medien, vertraut auf Heilsteine oder sonstige Heilsversprechen, während man sich in bedenklicher Form vom Fortschritt, der Demokratie und den wichtigen Themen abwendet, die uns alle und unseren Planeten betreffen. Die Gesellschaft war bestrebt, sich weiterzuentwickeln, sich zu bilden, dem Mittelalter zu entfliehen. Man tönte, den Religionen den Rücken kehren zu wollen, und wendet sich mit beispielloser Hingabe der Esoterik zu.
Wann hat der Mensch kehrtgemacht? Warum hat er sich umgedreht und blickt zurück? Was will er verhindern? Was fördern? Ist er sich überhaupt bewusst, welche Konsequenzen das Handeln hat, das unbewusst, aus Angst oder einfach nur aus dem Wunsch nach Rebellion entsteht?
Ich habe irgendwann begonnen, mir all diese Fragen zu stellen. Weil ich das kenne: Wenn man sich labil fühlt, unsicher, wenn sich die Welt nicht gerade von ihrer friedlichsten Seite zeigt, steigt die Offenheit für fragwürdige Inhalte. Man wird ein wenig betriebsblind im Dschungel der alternativen Angebote und des problematischen Gedankenguts. Man übersieht leicht, dass diejenigen, die andere als Schlafschafe bezeichnen, ihren eigenen Fortschritt und weiterführendes Denken verschlafen, sich träumerisch an Gruppen anhängen, die ihnen das ultimative „Wissen“ einflüstern, und macht es sich in der Behaglichkeit einer Schar Gleichgesinnter bequem.
Das Netz, die politische Landschaft, das ganze System sind voll von Blendern. Und sie haben uns längst erreicht. Bleiben wir kritisch.
Das Problem ist, dass die klugen Köpfe nicht immer die lautesten sind, dass sie sich nicht so plakativ verkaufen können. Gerade deshalb: Lasst uns nicht aufhören, nach ihnen und ihren wertvollen Inhalten zu suchen, ihnen zuzuhören und von ihnen zu erzählen.
Schenken wir denjenigen, deren Interesse über die eigenen Vorteile hinausgeht, die ehrliche Neugier antreibt und denen die Entwicklung dieses Planeten sowie die Lösung der gegenwärtigen Probleme ein echtes Anliegen sind, unsere Aufmerksamkeit.

Liebe Heidi,
Du hast mein sich in der letzten Zeit verstärkendes Unbehagen in Worte gefasst. Danke dafür – auch wenn es sich immer bedrückender anhört. Aber zum Glück gibt es sie noch, die Menschen, die lieber erst nachdenken bevor sie etwas nachschreien. Die sich erst einmal in ein Thema vertiefen, bevor sie irgendwelche Phrasen nachplappern.
Lauter werden, das sollten wir! Zumindest immer dagegenhalten, wenn solch offensichtlicher Unsinn pröpagiert wird.
Liebe Grüße
Erika
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Wenn man achtsam ist, sich nicht jedem Newsflash ungefiltert hingibt und auf die Quellen achtet, ist man schon mal gut bedient.
Liebe Grüße auch an dich!
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Beautifully written! I think everyone should be aware of our planet and problems
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♀️❣🆘️❤
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🙏❣️
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