Gedankensplitter

Seltsamer Mensch

Der Mensch wirft sich mit Begeisterung in einen See oder ins Meer – eigene Pools im Garten sind mittlerweile kein Monopol mehr für die Reichen und Schönen – verzieht aber das Gesicht und spannt einen Regenschirm auf, wenn es fein zu nieseln beginnt.

Man baut riesengroße Häuser für immer kleinere Familien, um sich dann, wenn man alt und gebrechlich ist, zu fragen, wer das alles instand halten soll. Weiß irgendwer nicht, dass er altern wird? Oder anders gefragt: Brauchen selbst junge Menschen Anwesen von palastartigen Ausmaßen? Spielen die alle gerne Verstecken, nach dem Motto „Such mich im Westflügel“?

Als Nächstes beginnt der Mensch, Flächen zu begrünen, setzt Pflanzen (gerne auch exotische, die hier gar nicht beheimatet sind) rund um seinen neuen Swimmingpool, kauft wertvolle Teakholzmöbel und spannt Segeltücher. Der Griller steht parat, alles ist perfekt, aber dann – keine Ahnung, was ihn aus diesem Idyll vertreibt – bucht er eine Fernreise, um auf fremden Liegestühlen vor einem fremden Pool Urlaub zu machen. Inklusive Segeltuch und Spezialitäten vom fremden Koch.

Jeder hat so viel Stress im Alltag: der Job, die Familie, soziale Verpflichtungen. Trotzdem boomt kaum ein Wirtschaftszweig mehr als die Unterhaltungs- und Funsportindustrie. Denn was würde der Mensch bloß mit dem kargen Rest freier Zeit anfangen, wenn er nicht zu Veranstaltungen oder an Strände pilgern könnte, wo ihn Menschenmassen erdrücken und man ihm die Ohren zudröhnt? Da kann man schon mal so richtig die Seele baumeln lassen, gerne auch in Raftingbooten und auf Extremmountainbiketouren. Wie absurd die Vorstellung, einfach auf dem Boden zu liegen und einem guten Stück Musik zu lauschen, den eigenen Tagträumen zu folgen.

Kaum etwas beschäftigt den Menschen mehr als der Erhalt seiner Gesundheit, und doch gibt er sein Bestes, um krank zu werden. Für einen Autoservice lassen wir locker mal einige hundert Euro liegen, ist es doch unser allerliebstes Haustier. Bei einer Behandlung für unseren Körper erkundigt man sich allerdings sicherheitshalber erst einmal, ob das auch ganz sicher die Krankenkasse übernimmt. Da wird schon reflektiert, ob sich das fürs Eigenwohl auszahlt.

Alle sind furchtbar in Eile, aber irgendwie bleibt dennoch genügend Zeit, die Nachbarn und unsere Mitmenschen zu beobachten, über sie zu reden und sie zu verurteilen. Wir haben ja alle so viel Ahnung und wissen zweifellos besser, wie andere ihr Leben gestalten sollten.

Für die begehrte Handtasche machen Menschen schon mal Sparbücher oder Kredite locker, Fleisch im Supermarkt sollte aber billig sein. Den eigenen Magen oder das Tierwohl kann man nicht prestigeträchtig ausführen.

Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass dem Menschen und speziell den Heranwachsenden Bewegung unglaublich guttut. Auf dem Schulweg scheinen aber irgendwelche Gefahren zu lauern, weswegen man die Kinder alle einzeln vor der Tür mit dem Auto absetzt. Wir wollen keinen Schritt zu viel machen, schreiben uns dann aber in Fitnesstempeln ein. Meistens als unterstützende Zahler, die die Firma erhalten, ohne dort je aufzuschlagen.

Die Liste könnte man endlos weiterführen. Es ist so erstaunlich, wie viele unsinnige und paradoxe Dinge der Mensch tut. Ob das wohl einen tieferen Sinn ergibt? Es muss uns ja irgendwohin bringen, oder? Auf jeden Fall mal in den Flieger für den nächsten Sommerurlaub, während es sich die Nachbarkatzen auf unseren verwaisten Sonnenliegen bequem machen, weil „FREI“ …

8 Antworten auf „Seltsamer Mensch

  1. Im Falle dieses Blogeintrags muss ich tatsächlich sagen, dass es mir leid tut, all Deine Beobachtungen bestätigen zu müssen, denn ich wünschte, es wäre anders.
    Aber diese Trends lassen sich nicht leugnen. Ich selbst bekomme immer mehr den Eindruck, die Menschen würden nur noch in „Must-have“-Kategorien denken, ihrem Anspruchsdenken frönen und ihr Ego zur unumstößlichen Nummer Eins erklären.
    Das Verrückte (aber auch Logische) daran ist, dass das zwanghafte Lückenfüllen nur immer wieder neue und noch größere Lücken aufreißen wird. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Authentizität. Diese Menschen verlieren sich selbst. Je mehr sich das Ego aufbläht, umso mehr schneidet es der Authentizität die Luft ab.
    Dabei wäre es so einfach, aus einem „Must-have“ ein „Nice-to-have“ zu machen, und damit auf den Weg der Leichtigkeit des Seins zurückzukehren.
    Das Geheimnis liegt wie so oft im Loslassen – dem Loslassen von Ansprüchen, dem Loslassen von Erwartungen, dem Loslassen von äußeren Wertevorstellungen, die man sich aufdrängen lässt.
    Sich die Fragen zu stellen, „Brauche ich das wirklich?“, „Will ich das wirklich?“, kostet wenig Mühe. Aber viele sind einfach zu faul geworden, ihren gesunden Menschenverstand zu benutzen, und orientieren sich lieber am Außen und den Werten der Anderen.

    Ich kann mich den Worten von Reiner nur anschließen. Es gibt sie noch, die Menschen, die anders ticken. Und ich hoffe von Herzen, dass diese „Gemeinde“ wieder an Größe und Bedeutung gewinnt.

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    1. Ich danke dir für diese ausführliche Ergänzung, wie wahr deine Worte sind. Wer traut sich noch er selbst zu sein, wo man doch fürchten muss, in all den Filtern nicht mehr bestehen zu können, die der Welt auferlegt worden sind?

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      1. Es gelingt nicht, sonst würde man ja aufhören, sobald die Lücke gefüllt ist. Dass sich die Lücke auf diese Weise nicht füllen lässt, erkennen immer mehr, wie Grinsekatz sagt.
        LG Michael

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