Gedankensplitter

Zauberwelt Theater

Ich liebe Kolumnen. Und wenn eine mit dem Titel: „Luftschlösser, gebaut aus Licht, Zauber und Bühnenstaub“ beginnt, dann wirkt sie unwiderstehlich auf mich. So gelesen in der Zeitschrift „BÜHNE“ (Nr.1, September 2020), verfasst vom Kolumnisten, Theaterkritiker und Kabarettisten Guido Tartarotti.

Er beschreibt zum Beispiel, wie unvergleichlich ein Theater riecht. Ich kann das nur bestätigen. Die Jahre, die ich selbst an einigen Häusern gearbeitet habe, waren eine der schönsten für mich. Egal ob hinter oder vor der Bühne, ich war immer elektrisiert. Jeden Schmerz, jede Freude, jede Seelenregung hab ich da reingetragen, ich kam immer mit einem Gefühl der Hoffnung und Sehnsucht wieder heraus. Das Theater, meine immerwährende Wundertüte. Nicht umsonst existiert das geflügelte Wort „Theaterluft schnuppern“. Neben der olfaktorischen Reize war es für mich immer auch das Feinstoffliche, diese Magie, die durch den Zuschauerraum schwebt. Auf der Bühne selbst ist die Wirkung am allergrößten, man blickt Stockwerke weit hinauf, ohne Aussicht auf das Ende, das hat etwas von Unendlichkeit.

Theatermenschen sind eigene Menschen. Sie umweht ein Hauch von Weitgereisten, von Fahrenden und bunten Gesichtern. Hier entsteht nicht bloß ein Kollegium, sondern eine Familie. Am Theater wird angefasst, berührt, haptisch wie seelisch. Distanzen existieren kaum, man ist einander nah auf jeder Ebene. Wenn ich einer Ballerina ihre Füße behandelt habe, dann dachte sich die Therapeutin in mir: Oh mein Gott, wie kann man Füße nur so quälen? Die Träumerin in mir jedoch blickte sie an und dachte: „Ihr seid ein Werkzeug der Kunst“, welches ich mit Ehrfurcht berührte. Diese fragilen, elfengleichen Wesen, deren Körper keine Erdenschwere zu kennen scheinen – habt ihr schon einmal im Ballett weinen können? In einem Tanzsaal las ich einmal das Zitat: „Tänzer sind die Athleten Gottes“.

Der Ort selbst, die Bühne, die Garderoben, die pompösen Kostüme und Perücken, die eleganten Foyers – all das wirkt wie aus der Zeit gefallen. Vergangene Erhabenheit, die einem vor die Füße kullert. In dem Augenblick, in dem man das Haus betritt, stolpert man durch den Kaninchenbau ins Wunderland. Ja, man weiß um die Illusion, man weiß um das Märchen – und gerade dafür liebt man es. Diese Dinge, die man der Fantasie zuteilt, waren schon immer die, die wir mehr als alles andere brauchen. Die das Dessert für die Speisung unserer Seele sind.

Und wenn Guido Tartarotti sich mit zig anderen Kulturschaffenden die berechtigte Frage stellt: „Ist das Theater in Zeiten wie diesen systemrelevant?“, dann kann ich ihm darauf nur die Antwort geben, die in mir spontan aufblinkt: es ist vor allem seelenrelevant.

Menschen aus anderen Epochen gingen ins Theater, um sich vom tristen Alltag abzulenken, von einer Welt zu träumen, die schöner ist als ihre daheim. Was also wäre der Unterschied zu damals? Zwei Stunden der Entschleunigung, der Ablenkung, der völligen Hingabe an den Augenblick, in dem man fokussiert ist auf das Bühnengeschehen, haben höchste Relevanz für das Herz des Menschen.

Tartarottti schreibt, am Anfang der Pandemie habe er das Theater vermisst und irgendwann nicht mehr darüber nachgedacht, dass es Theater überhaupt jemals gab, je länger der Lockdown dauerte. Ich muss gestehen, dass es mir ähnlich erging. Ich fand mich damit ab, dass es das zurzeit eben nicht gibt. Aber das darf auf keinen Fall zugelassen werden. Streamingdienste und Fernsehen können und dürfen die sinnliche Erfahrung THEATER nicht ersetzen.

Ich habe mich in diese Zeitschrift versenkt, da waren Berichte und Vorankündigungen von zukünftigen Projekten an den besten Häusern Wiens, vom Musical über die Oper bis hin zum Volksschauspiel, Porträts von aufstrebenden Künstlern*innen, spannende Fotostrecken aus den wunderbaren Häusern – nur durch das Lesen war ich für eine Stunde im Theater, und ich genoss es in vollen Zügen, schmunzelte bei Erinnerungen, freute mich auf Bevorstehendes. Allein die Lektüre hatte mich in die Zauberwelt entführt, wo alles glitzern darf, und keiner findet es schlimm.

Doch, das Theater ist seelenrelevant.

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