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Serien- und Buchtipp: „The Handmaid’s Tale“

Margaret Atwood hat im Jahr 1985 einen dystopischen Roman veröffentlicht, der anscheinend niemals an Aktualität und Brisanz einbüßt. Die Themen, die sie darin aufgreift, bestimmen nach wie vor einen großen Teil des öffentlichen Diskurses: der wenig achtsame Umgang mit der Natur, die verheerenden Folgen dieser Ausbeutung und das schleichende Entstehen einer Diktatur, mit der niemand mehr gerechnet hat und die gerade deshalb möglich wurde. Die Frau als zentraler Punkt der Unterdrückung, religiöser Fanatismus, der sich als Moral tarnt.
Wer in den Achtzigerjahren groß geworden ist, kann sich bestimmt erinnern, dass die Zeit, in der das Buch geschrieben wurde, eigentlich geprägt war von Wohlstand und Leichtigkeit. Jedoch ist die Freiheit, in der wir leben, keine Selbstverständlichkeit, wie uns dieses Werk lehrt.

Zum Inhalt: Infolge einer nuklearen Katastrophe ist ein Großteil der Bevölkerung unfruchtbar geworden. Eine fundamentalistische Gruppe übernimmt nach einem Putsch in den Großstädten der Vereinigten Staaten das Regime, aus dem sich der Staat Gilead bildet. Fortan ist es einer kleinen elitären Herrschaft gestattet, sich junge, noch fruchtbare Frauen als Mägde zu halten, die in entwürdigenden „Zeremonien“ sexuell zu Diensten sein müssen, um Nachkommenschaft zu gewährleisten. Wenn Kinder daraus hervorgehen, werden sie den Müttern weggenommen und wachsen im Haushalt der Herrschaft auf. Die Mägde werden anschließend an den nächsten Haushalt weitergereicht. Einst angesehene Akademikerinnen arbeiten nun als Küchenhilfskräfte, den Frauen wird jeder Zugang zu Bildung untersagt und selbst Lesen und Schreiben sind verboten – und das alles unter dem Deckmantel der religiösen Gottesfurcht. Die Einkäufe sind rationiert und nur über Lebensmittelmarken erhältlich, wie man es aus kommunistischen Staaten oder der Nachkriegszeit kennt.
Desfred, ehemals June (die Frauen erhalten einen Namen, der anzeigt, welchem Kommandanten sie dienen), ist eine der Mägde, deren Geschichte hier erzählt wird. June bewahrt sich etwas, was in solchen Zeiten unbezahlbar ist: ihre Identität, ihren eisernen Willen, Mut und Zivilcourage. Ihr erklärtes Ziel ist es, ihre von den Fundamentalisten auseinandergerissene Familie wiederzufinden und mit ihnen gemeinsam nach Kanada zu fliehen.

Die Serie wirkt verstörend, ja, aber das will sie auch. Die Ausstattung ist grandios, die Schauspieler mit Elisabeth Moss als Desfred und Joseph Fiennes als Fred Waterford perfekt besetzt. Alexis Bledel, die man als Gilmore Girl kennt, überzeugt in einer äußerst düsteren Rolle als lesbische Dr. Emily Malek, einst eine anerkannte Wissenschaftlerin, die für ihre „fehlgeleitete Sexualität“ eine besonders harte Strafe erfährt.

Durch eine exzellente Kameraführung wird man regelrecht in Gileads Dystopie hineingezogen. Über fünf Staffeln der Serie empfand ich jede einzelne Folge als dramaturgisch auf den Punkt, niemals langatmig. Ab und an ersehnt man geradezu eine kleine Lücke, in der man durchatmen kann. Sepiafilter und die Aufnahmen der Mägde aus der Vogelperspektive, die fast einer Choreografie gleichkommen, entfalten eine nahezu hypnotische Wirkung.
Fantastisch gewählt ist auch der Soundtrack, der ein augenzwinkernder Keulenschlag für die politische Korrektheit ist und Junes innere Rebellion ausdrückt.

Die Bücher habe ich erst im Nachhinein gelesen. Normalerweise tue ich dies vor einer Verfilmung, aber in dem Fall muss ich sagen, dass es die perfekte Abrundung ist. Es zeigt mir, wie großartig der Romanstoff verstanden und in starke und aussagekräftige Bilder übersetzt wurde. Deshalb gebe ich hier auch gleichzeitig einen Serien- sowie einen Buchtipp ab.
„Die Zeuginnen“ kann man einerseits als Fortsetzung des ersten Buches bezeichnen, andererseits erfährt man in Rückblenden, wie Gilead entstehen konnte. Erzählt wird dabei auch die Geschichte einer der wichtigsten Personen in Band 1, nämlich Tante Lydia, welche ich persönlich überaus interessant und spannend fand.

Der Stoff aus „Handmaid’s Tale“ kann einen anregen, sich selbst und seinen Werten treu zu bleiben, sich in keine Extreme zu verirren und vor allem keinen aggressiv argumentierenden Menschen hinterherzulaufen. Dystopien scheinen unrealistisch, aber ein wachsames Auge auf gewisse Untertöne zu haben, schadet nie.
Man kann aktuell allerorts erleben, dass Menschen sich vermehrt erzkonservativen Parteien zuwenden und sich davon etwas versprechen, was dem aufgeklärten und gebildeten Bürger völlig unbegreiflich ist. Man scheint nicht sehen zu wollen, dass dieser Fokus auf die traditionelle Familie, einen reichen Kindersegen und den Rückschritt in alte Zeiten nicht dem Wohlstand des Volkes dienen soll, sondern einzig und allein dem Ausbau der politischen Einflussnahme bestimmter Akteure und Gruppierungen.
Hierzu gibt es eine fantastische Szene zwischen Commander Lawrence und June, in der er ihr genau diese Tatsache offenbart. Es geht niemals um das Individuum und dessen Freiheit, Entfaltung oder dessen Chancen auf eine bessere Zukunft – was zählt, ist die politische Macht. Amerika macht es gerade vor. Wir sollten das beobachten und wachsam bleiben. Es ist bezeichnend, wie oft bereits in den Kommentarspalten auf „Handmaid’s Tale“ hingewiesen wird und Vergleiche gezogen werden. Denn letztlich konnte ein Gilead nur entstehen, weil Menschen – getreu dem Motto „Ist doch alles nicht so schlimm“ – anfängliche, aber sehr deutliche Zeichen ignoriert oder ganz einfach komplett übersehen haben …

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