Erst war nur ein dumpfes Grollen zu hören und ein leichter Nieselregen zu spüren. Dann jedoch brach das Unwetter als raue Naturgewalt herein. Verunsichert wandte sie sich ihm zu – und erschrak angesichts des besorgten Ausdrucks in seinen Augen.
Er mahnte sie zur Eile. Da er ein Blockhaus in den Bergen besaß und dies näher lag als das Dorf, mussten die beiden versuchen, es bis dorthin zu schaffen. Unwetter in den Bergen konnten gefährlich werden, besonders wenn man sich im Freien aufhielt. Schon als Kind hatte sie sich vor der rohen Seite der Natur gefürchtet. Angetrieben von ihrer Angst überholte sie ihn auf dem Weg nach oben.
Der magische Augenblick von vorhin war wie weggeblasen und die Natur wirkte nun bedrohlich und einschüchternd. Sie hatten die nächste Wegbiegung noch nicht erreicht, als der Sturm mit voller Wucht über sie hereinbrach. Durch die plötzlich herabstürzenden Regenwände konnte man keinen Meter weit mehr sehen und der Wind zerrte unnachgiebig an ihren Jacken. Die Dunkelheit, die sich
auf die Berge legte, mutete an, als würde sie einem Albtraum entstammen.
Er gab ihr klare Anweisungen, sie nahm alles wie durch einen Schleier wahr und spürte, wie der Frost in ihre Glieder kroch. Wann hatte die Wärme die Umgebung verlassen? Die Temperatur schien um etliche Grad gefallen zu sein. Ihr Haar hing ihr in nassen Strähnen ums Gesicht, ihre Wangen waren eiskalt und der Regen peitschte ihr entgegen.
Sie bemerkte, wie Panik in ihr aufstieg. Auch ihm musste das aufgefallen sein, denn er packte ihren Arm und versuchte, sie zu beruhigen. Ein vergebliches Unterfangen, denn um gegen die Gewalt der Natur anzukommen, war er gezwungen zu schreien.
Sie lief und lief und verlor jegliches Zeitgefühl. Ihre Umgebung verschwamm und irgendwann dachte sie, sie würden im Kreis gehen. Alles sah gleich aus, nichts spendete Trost. Keine Hoffnung, nach der man sich richten konnte.
Sie schrie ihn an, wollte wissen, wo sich denn nun sein verdammtes Haus befände, wie er sie in die Berge hatte zerren können, wenn es dort so gefährlich sei. Sie warf ihm an den Kopf, dass er vermutlich selbst längst die Orientierung verloren hätte. Es war die blanke Panik, die ihre Worte formte. Ihre Intention war es, ihn zu verletzen – weil sie litt. Sie tobte, ließ verlauten, dass er seine Berge behalten könne, dass sich kein halbwegs zurechnungsfähiger Mensch für diese interessieren könne, wenn sie einen offensichtlich umbrächten. In der Stadt, wo Zivilisation und Ordnung herrschten, sei man einfach besser aufgehoben.
Unvermittelt drehte er sich um, packte erneut ihren Arm und brüllte, dass sie endlich den Mund halten solle, denn sie würde ihren Atem und die Energie noch brauchen, wenn sie den Weg überstehen wolle. Sie hasste es, dass er nicht wütend, sondern einfach nur beherrscht und weitsichtig reagierte, während ihre kindischen Anschuldigungen an ihm abprallten.
Sie stolperte über Steine und Äste, die Wassermengen machten sie nahezu blind. Irgendwann – ihr kam es vor, als wären sie bereits seit Stunden unterwegs – begannen ihre Kräfte zu schwinden. Das Rauschen in ihren Ohren übertönte sogar den dröhnenden Regen. Alles bewegte sich in Zeitlupe, als ihre Beine unter ihr wegknickten. Wie aus weiter Ferne hörte sie ihn aufgebracht auf sich einreden
… und schließlich versank alles in einer samtigen Schwärze.