Gedankensplitter

Ab wann ist es Kunst?

Ab wann macht uns das, was wir gerne – und vielleicht noch mit einer gewissen Begabung – tun, zu einem Künstler? Ab wann ist jemand, der malt, ein Maler? Jemand, der schreibt, ein Autor? Ab wann ist jemand, der singt, ein Sänger? Wer bestimmt darüber? Die Kunstpolizei? Und vor allem: Ist das wirklich wichtig?
Meiner Meinung nach werden wir in dem Augenblick zum Künstler, in dem wir beginnen, etwas mit Hingabe zu tun. Sobald es nicht mehr aufzuhalten ist, es quasi aus uns hinausdrängt.

Eigentlich sollte sich Begabung nicht an Öffentlichkeit, Aufmerksamkeit und Lobhudelei orientieren. Schwierig, ich weiß. Zu viele Meinungen zerren an den Herzensprojekten. Auch „je schräger, desto künstlerischer“ sollte nicht der Leitsatz sein. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die zeitgenössische Kunst besonders bizarr sein muss, gar hässlich, um überhaupt als solche zu gelten. Je disharmonischer, desto gefeierter.
Das könnte ein gewisser Trost für Menschen sein, die nicht unbedingt den Anspruch haben zu verstören oder ausgefallen zu sein: Geduldet euch noch ein bisschen und ihr seid der Off-Mainstream. Aber zurück zum eigenen Talent.

An erster Stelle steht wahrscheinlich die Erkenntnis, dass man etwas gern macht und es dem Umfeld im besten Fall angenehm oder mit beeindruckender Wirkung auffällt – doch schnell fängt der Kopf an, Fragen zu formulieren: Darf ich das? Kann ich das? Werde ich dafür kritisiert oder bejubelt?
Später kommt dann hinzu: Verdiene ich vielleicht Geld damit? Kann ich mit anderen, die das Gleiche tun, mithalten? Bediene ich die Masse oder eine Nische? Könnte ich mich im Wettbewerb messen? Habe ich ein Alleinstellungsmerkmal, eine Aussage, die weltverändernd wirkt, oder will ich einfach nur unterhalten?

Wie unnötig diese Fragen eigentlich sind … aber der Mensch wird nicht müde, sie sich immer wieder zu stellen. Nichts bringt Musen schneller von ihrer Arbeit ab als Unsicherheit und Angst. Angst wovor eigentlich? Vor der Meinung anderer? Wir werden einfach nicht klüger.

Als Beispiel kann ich meine eigene Geschichte anbringen. Ich habe sehr früh begonnen, Gedichte zu verfassen, zaghafte erste Gehversuche in Sachen „Schreibkunst“. Von der Literaturszene würden sie mit Sicherheit als banal eingestuft werden, als gedankliche Ergüsse eines Teenagers eben. Das ist mir mittlerweile sowas von egal. Ich liebe sie mit Herzblut, sie sind meine Erstgeborenen, die mir den Weg zu ungebremster Schreibfreude und sogar zu einem Buch geebnet haben.

Dazwischen aber habe ich mich gequält. Das Schreiben war blockiert und ich völlig lustlos – bis ich genannte Fragen aus meinen Gedanken gestrichen habe. Ab jenem Zeitpunkt war die Kreativität in mir entfesselt … und die Freude ebenso. Vor allem die.

Schreiberisch habe ich mich mittlerweile ein wenig von der Lyrik entfernt. Bedingt durch die Lust, über das Leben und die Menschen zu philosophieren, hatte ich zu viele Gedanken im Kopf, um sie in gekürzte Versionen pressen zu können. Ich wollte in geschriebenen Worten nachdenken und Geschichten erzählen. Diesmal stelle ich es bloß ins Netz. Lesen darf es jeder, gezwungen wird niemand. Schreiben, nur um des Schreibens willen. Herrlich.

Wer weiß, vielleicht veröffentliche ich irgendwann auch mal ein E-Book. Keimt als kleine Idee und darf als solche in mir hausen. Ich habe einen gedanklichen Vertrag mit mir geschlossen, der besagt, dass ich eines Tages darauf zurückgreifen darf. Ein Zwang besteht allerdings nicht.

Schreibt, malt, singt, spielt und seid mutig, es für gut genug zu befinden! Wir sind nicht erst dann Autoren, wenn wir verkauft werden oder man uns verlegt. Wir sind nicht erst Maler, wenn wir Galerien füllen und die Prominenz auf unseren Vernissagen erscheint. Niemand muss am Burgtheater spielen, um als Ausnahmeschauspieler zu gelten. Kein „Fachmann“ – auch bekannt als „Kulturkritiker“ – soll sich erdreisten zu beurteilen, ob unser Schaffen und Wirken als Literatur oder Kunst durchgeht oder nicht. Alles darf, solange es nicht moralisch fragwürdig wird, der Rest ist einfach Geschmackssache und entzieht sich jeder Bewertung.
Lasst die Menschen einfach selbst entscheiden, ob sie es mögen. Man wird spüren, was ihr mit Liebe macht, was authentisch ist, unverkrampft und frei – und dann habt ihr das Publikum, das euch verdient.

13 Antworten auf „Ab wann ist es Kunst?

  1. In meinen Augen beginnt Kunst dort, wo das Klischee endet. Dort wo ich mit meinem Schaffen nicht kopiere oder nachahme, sondern frisch, unverbraucht und eigen bin. Heute wie Goehte zu schreiben ist daher keine Kunst, sondern Kitsch: es fehlt der lebendige Ausdruck einer echten Persönlichkeit.
    Dass Kunst „hässlich“ sein kann und zuweilen sein muss, hängt damit zusammen. Kann man „schöne“ Kunst schaffen in schrecklichen Zeiten, ohne zu lügen? Das wäre Propaganda.
    Kunst ist welthaltig, sie macht sichtbar, was zuvor verborgen war.
    Kunst hat mit (Ver-)Käuflichkeit so viel zu tun, wie Liebe mit Prostitution.
    Kunst ist wie Liebe: man kann sie nicht kaufen, nicht bewerten, nicht herstellen, nicht herbeizwingen und nicht zerstören.
    LG Michael

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  2. Der Grundaussage dieses Artikels stimme ich zu, und bin dankbar, wenn so etwas ausgesprochen wird. Natürlich gibt es in den Künsten unterschiedlich hohe handwerkliche Qualitätsstandards, so etwas ist ja nicht ohne objektive Kriterien. „Einfach Geschmackssache“ trifft es da nicht ganz. Und doch ist mir oft „einfache“ Kunst, wenn sie ehrlich ist und von Herzen kommt, lieber, als Kunst auf hohem Niveau, wenn diese mehr oder weniger inhaltsleer und seelenlos ist.

    Die Aussage „…dass die zeitgenössische Kunst besonders bizarr, gar hässlich sein muss, um überhaupt als solche zu gelten. Je disharmonischer, desto gefeierter.“ kann ich hingegen nur bedingt unterschreiben. In der Tat entwickelte sich in der Avantgarde ab Mitte letzten Jahrhunderts zum Teil das Schrille, Provokante, Abstoßende (usw.) als Selbstzweck, wurde gelegentlich von interessierten Laien, Kunstmarkt und Rezension zu einem neuen Paradigma erhoben und hat (m.E. Fehl-)Entwicklungen bis in die heutige Zeit nach sich gezogen. Allerdings ist das nur ein (geringer) Teil der Wahrheit über das „Disharmonische“ in der Kunst. Schaut man sich die Entwicklungen in Kunsthistorie, Musikhistorie, usw. über die letzten Jahrhunderte an, vollzieht und verinnerlicht sie kognitiv, emotional, künstlerisch, auf der Ebene des eigenen Subjekts, so hat sich die künstlerische Sprache einfach nur weiterentwickelt, und dies sehr logisch, und zunehmend ausdifferenziert. Was dem-/derjenigen ohne diesen Nachvollzug disharmonisch erscheint, erlebt jemand mit diesem Nachvollzug als wunderschön und tief. Die zunehmende Ausdifferenziertheit und Komplexität der künstlerischen Sprache ermöglicht Schattierungen der Seele auszudrücken, für die es zuvor „keine Sprache“ gab. Wahrnehmbar sind diese natürlich nur, wenn man diese Sprache auch spricht, also ihre Entwicklung mitgegangen ist. Niemand muss das, aber es ist eine Bereicherung, auch für das eigene Innenleben.

    Doch das ist nur eine Randnotiz (die mir persönlich wichtig war). Bei dem, was der Beitrag eigentlich sagen möchte, stimme ich mit ein: Jaaaa! Traut euch!

    Danke, und liebe Grüße!

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  3. Dein Thema kann man übergreifend auf das ganze Menschenleben legen. Die Frage nach, wie definieren Menschen. Das alles entspringt dem Haltungsdenken der Menschen. Wir definieren über und nicht durch.

    Allem wird ein Wert beigemessen. Kunst definiert sich danach ob es sich verkaufen läßt. Es kann noch so ein großer Schrott sein, läßt es sich verkaufen, werden schnell lobende Worte dafür gefunden. Verkaufen und Kaufen sind die einzigen Faktoren, die nicht nur in der Kunst zählen.

    Sie zählen überall. Und daran messen dich dann so gut wie alle Menschen. Male ich ein Bild und zeige es verschiedenen Leuten, werden sie es betrachten und je nach dem, etwas dazu sagen. Habe ich eine erfolgreiche Ausstellung hinter mir und zeige verschiedenen Leute ein Bild von mir gemalt, dann wird man nicht müde es zu loben und darüber zu sprechen.

    Denn, ich bin ja ein erfolgreicher Künstler. Was ich dann gemalt habe ist ohne Belang. So ist es überall im Leben. Nur der Erfolg definiert Kunst, Sport, Berufsleben usw. Wir Menschen haben uns selbst in ein komplexes Bewertungssystem begeben und selbst die eigene Persönlichkeit definieren wir darüber. Ich bin gut, bin ich schön und erfolgreich. Bin ich das nicht, bin ich ein looser.

    Selbst Kinder unterliegen schon diesem kranken und kalten System. Nur der erste im Sport, das beste Bild, der beste Vortrag, das beste Referat die besten Noten usw. Man zeigt ihnen berühmte Künstler, Politiker, Prominenz usw. Der Wert ist stets Erfolg und ab einem gewissen Alter, Geld. Geld ist der Auslöser für dieses kranke System. Da Erfolg immer gleich einem vollen Bankkonto. Ohne viel Geld ist Erfolg kein echter Erfolg.

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    1. Sehe ich nicht so. Es stimmt, dass Erfolg manch belanglosem Werk den Kunststatus beschert, aber es existiert genügend Kunst da draußen, die nur von einer Handvoll Menschen geschätzt wird. Außerdem werden, wenn man das noch weitertreiben will, Dinge sogar häufig erst im elitären Kennerwahn zur Kunst gekürt – sozusagen als Gegenextrem. Da wird etwas mehr Kunst, weil es weniger bekannt ist.

      Die Qualität von Kunst und ihr Erfolg haben meiner Meinung nach nicht allzu viel miteinander zu tun. Es wirkt auf den ersten Blick nur manchmal so.

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      1. Habe ich irgendwo geschrieben, dass Qualität über Erfolg entscheidet?
        Qualität ist natürlich nicht entscheidend, entscheidend ist, läßt es sich verkaufen. Und auch Nischen Künstler wollen nur verkaufen. Keiner der Erfolg hat mit seiner Kunst und mag der noch so klein sein verschenkt diese. Dein Beispiel, des elitären Kennerwahn, verdeutlicht das nur. Nehmen wir einen Picasso. Wann wurde er Erfolgreich? Warum wurde er Erfolgreich? Es gibt einige Maler, die diesen bis ins letzte Detail kopieren können, aber keiner von denen wird jemals Bilder malen, die man für Millionen Euros verkaufen kann. Warum nicht? Die Bilder werden sich in nichts unterscheiden. Allein der Name macht es und dieser hat dem Künstler selbst nichts eingebracht. Also muss irgendwer, irgendwann es in den Bildern gesehen haben, dass man zu Geld machen kann. Um mehr ging es nicht. Nur um Geld. Die Großartigkeit hat man ihm nur zugesprochen, um einen Wert schaffen zu können. Ansonsten wäre er reich und nicht arm verstorben.

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      2. Das war etwas missverständlich, ja. Mit Qualität meinte ich gar nicht so sehr, ob etwas gut oder schlecht ist, sondern die Unterscheidung, ob etwas Kunst ist oder nicht. Die Definition eines Werks als Kunst hat meiner Meinung nach nichts damit zu tun, wie erfolgreich es ist.

        Kunst lebt für mich von Gefühl und Kreativität. Wenn jemand obendrein Geld damit verdient, sei ihm das gegönnt.

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      3. Lieber Aris, danke für deinen Kommentar – wenn ich eine Sache anmerken darf: Selbst wenn Menschen Picasso, Goethe oder ähnlich anerkannte Künstler kopieren bzw. dies sogar überragend gut machen, ist der Künstler immer noch Picasso gewesen.

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      4. Exakt diesen elitären Kennerwahn wollte ich kritisch betrachten. Erfolg entscheidet vielleicht über einen gewissen Bekanntheitsgrad, nicht jedoch über Qualität, das sehe ich genauso. Danke, Kevin.

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