Buchtipps · Gedankensplitter

Ein Buchtipp oder doch die Sehnsucht nach den ganz großen Gefühlen?

Kennt ihr „Gut gegen Nordwind“? Daniel Glattauer hat dieses Buch geschrieben und damit einen Bestseller gelandet.
Ich habe es kurz nach seinem Erscheinen gelesen, als vorläufig nur das Buch existierte. Mittlerweile wurde es verfilmt und auf Theaterbühnen aufgeführt. Die Menschen scheinen nicht genug davon zu bekommen, was ich nachvollziehen kann, ging es mir doch ähnlich.

Gibt es so etwas wie Liebe auf das erste Wort? Muss es immer ein Blick sein? Optik kann trügen, an der kann man herumschrauben. An dem, was aus unserem Inneren kommt, vielleicht auch, aber wir schimmern trotzdem durch. Masken, die wir tragen, sind schnell enttarnt. Ich glaube, dass wir uns viel mehr entfalten, wenn wir Zeit dazu haben. Über Tage, Wochen, Monate und das Ding nicht in drei Dates eingetütet werden muss.

Gibt es also Liebe auf das erste Wort?
Emmi schreibt Leo versehentlich eine Email. Eigentlich wollte sie bloß ein Zeitungsabo kündigen, macht einen kleinen Tippfehler, und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Emmi und Leo beginnen einander zu schreiben. Tasten sich langsam aneinander heran. Wirken ihre ersten Worte und Briefe noch linkisch und unbeholfen, gewinnt ihr Austausch an Tiefe.  Sie beginnen sich füreinander zu interessieren, berühren etwas im Anderen. Die subtile Unschuld, mit der sie umeinander kreisen, zieht den Leser völlig in den Bann und mitten in ihren schriftlichen Austausch hinein. Ein Lesegenuss, in dem Wortwitz, Intelligenz, Humor, Anspielungen und Zweideutigkeiten amüsieren und faszinieren. Weinen und Angst haben muss man auch.

Ich kann mich erinnern, als ich das Buch in Händen hielt und den Klappentext las, dass sich etwas wie Verzückung in mir breit machte:
„Schreiben Sie mir, Emmi. Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf.“ Bis heute eine der schönsten Sätze, die ich je las. Mein Herz begann zu klopfen, und ich begann zu lesen. Konnte nicht mehr aufhören, versank in der Geschichte der beiden.

Mittlerweile habe ich es auch gesehen, auf Bühnen, auf DVD, und noch immer gehört „Gut gegen Nordwind“ zu meinen Lieblingsbüchern.
Es hat damals  Sehnsucht erweckt und konserviert.
Ich wollte das auch erleben. Ich glaube, das wollte jeder Mensch nach dieser Lektüre. Ich wünschte mir, einen Menschen kennenlernen, ohne ihn zu kennen, ihn nie gesehen zu haben. Kein Date in einer lauten Bar mit einem Lärmpegel, der jedes Empfinden zunichtemacht. Sondern komplett aus der Welt gefallen nachts am Computer zu sitzen, Tag und Nacht verschwimmen zu lassen, eine Welt zu erschaffen, die sich auf die Worte des Gegenübers fokussiert. Zwei Seelen, die sich dem Außen entziehen und ihr Schreiben zu einem eigenen Universum wird. Einem Universum, das die gesamte Gefühlspalette spielt: Wehmut, Nostalgie, Anziehung, Erregung, Aufregung, Angst, Zweifel, Vertrauen und Hoffnung.

Manche Menschen sagen, virtuelle Begegnungen sind nicht real, können dem echten Leben nicht standhalten. Zu viel Fake, zu viele Schummeleien, ein Verstecken hinter geschriebenen Verheißungen, die sich so nicht erfüllen können.

Emmi und Leo nehmen sich ganz viel Zeit, einander kennenzulernen. Sie haben Spaß, locken sich aus der Reserve, streiten leidenschaftlich, schreiben einander dann Tage nicht. Bis sich die unvermeidliche Frage stellt: Wollen wir uns auch real kennenlernen? Sollen wir uns treffen?
Sie haben Angst, ihre Blase zu verlassen. Man kann sie verstehen.

Das Ende des Buches hat mich umgehauen. Ich habe es vor mehr als zehn Jahren gelesen, es ist wie mit dem berühmten elften September oder dem Tod von Lady Di: Ich weiß heute noch, wo ich das Ende las. Ich saß im Wartezimmer meines Augenarztes und war wie vom Donner gerührt. Warum – das verrate ich an dieser Stelle nicht.

Die Sehnsucht danach blieb. Die leise Hoffnung, einmal ein Wort von einem Menschen zu lesen und zu wissen: An diesem Punkt sollten wir uns treffen. Keine Wahl, kein Entkommen, keine Flucht nach hinten oder nach vorne.
 Als Fußnote fügte ich hinzu, dann Instinkt und Mut zu haben, um entweder zu schreiben oder zu antworten.

Ja, das Leben hört manchmal zu.

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