Gedankensplitter

Barwelten

Nachdem am vergangenen Mittwoch die Gastronomie wieder ihre Tore geöffnet hat, nehme ich das zum Anlass, einen schon etwas älteren Text von mir wieder hervor zu holen. Im letzten Jahr war deutlich zu spüren, wie schwer das für viele wiegt, wenn sie nicht zu ihrem Stammwirten, zum Heurigen oder einfach nur essen gehen können. Dies scheint wirklich ein elementares Grundbedürfnis zu sein.
Ich persönlich mag an diesen Orten eher das Atmosphärische denn die Geselligkeit, und die Bars der Welt haben mich zu folgender Philosophiererei inspiriert:

„Findet man in den Bars der Welt die wirklich guten Seelen?“
Dieses Zitat habe ich einer Filmankündigung entnommen, den Film selber habe ich nicht gesehen, bzw erinnere ich mich nicht mehr an seinen Titel.

Es stimmt schon, dass Bars so eine schaurigschön nostalgische Atmosphäre umweht. Der Barkeeper ist oft Cocktailmixer, Weinkenner, Zuhörer und Psychologe in einer Person, oft auch Rettungsanker für einsame Seelen und Nachtwanderer. Die Berichte menschlicher Freuden und Dramen, die er zu hören bekommt, könnten ihm ein zweites Standbein als Geschichtenerzähler bescheren.
Im Roman oder Film ist dies meist ein honoriger, schon etwas in die Jahre gekommener Mann mit einem gütigen Lächeln, der, während er mit einem blütenweißen Geschirrtuch Gläser poliert, suchende Herzen auffängt, eventuell Streit schlichtet oder einem frisch verliebten Paar den Cocktail der Woche „aufs Haus“ serviert.
In diesem Rahmen wirkt die Bar wie ein Zaubergarten, es funkelt, es herrscht gediegene Atmosphäre, man spricht leise miteinander, jazzige Hintergrundmusik entführt die Gedanken ins Traumreich. Gutangezogene Menschen lassen den Tag und ihr Kopfkarussell beim letzten Glas an der Bar ausklingen. Wer weiß, ob dies schon das Ende der Nacht bedeutet, in einer Bar kann viel passieren…?

Und dann gibt es da die richtig bunten Vögel, den introvertierten Künstler, der sein Image damit pflegt, erst wirklich gut und kreativ zu sein, wenn er definitiv nicht nüchtern ist, die Diva, die der hungrigen Meute entkommen ist und ihre eigentliche Sehnsucht nur dem Barmann erzählt oder aber den Politiker, der seine einstudierten Reden mit einem Glas Wein wegzuspülen versucht. Neben ihm eine Frau, die gerade betrogen wurde und sich nun trotzig dem zehnten Tequila stellt, und der verkannte Philosoph, den die Welt einfach nicht versteht, überlegt, ihr den nächsten zu spendieren.
Von außen betrachtet: die Hochglanzversion einer romantisch verklärten Barszenerie.

Doch es geht natürlich auch anders. In runtergekommenen, schäbig eingerichteten Etablissements, wo der Wirt ein kurz angebundener, unfreundlicher Mensch ist, der es satt hat, seine Familie nie zu sehen, weil die letzten Betrunkenen einfach nicht und nicht gehen wollen, wo Menschenschicksale aus dem Ruder und als Endstation bei ihm einlaufen. Wo Gäste die Zeche prellen, vielleicht nicht einmal absichtlich, sondern aus Verzweiflung. Wenn um spätestens Mitternacht ein gepflegter Raufhandel stattfindet und die ohnehin nicht herzeigbare Einrichtung weiteren Schaden erleidet. Das alles in täglicher Serie, bis sich die Kellnerin in der Morgendämmerung die Schuhe von den schmerzenden Füßen streifen kann und die Putzfrau hofft, dass das WC in einem halbwegs menschenwürdigen Zustand zurückgelassen wurde.

Wie auch immer und egal in welcher Version – es menschelt in Bars. Das ist spannend, und sie hat schon eine gewisse Magie, diese Begegnung mit der Nacht in dieser unwirklichen Parallelwelt. Namenlose Gesichter mit vielen Geschichten dahinter.

Vielleicht sogar ein Mensch, den man nicht kennt, nie gesehen hat, der aber das Leben verändern könnte. Erfährt man aber nie, weil man einfach aufgestanden ist und gezahlt hat …

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