Stellt euch vor, wir könnten jeden Tag beginnen, als wäre er der erste unseres restlichen Lebens. Unschuldig rein, aufregend neu und völlig unverplant. Keine äußeren Einflüsse würden auf uns einregnen, wir dürften uns einfach darauf freuen und gespannt sein. Ok, ich räume ein, inklusive aller Erinnerungen, es soll ja keine Amnesie herrschen. Die Vergangenheit hat ihre Berechtigung und ist voller schöner und wichtiger Momente, die uns alle hierher geführt haben, wo wir gerade stehen. Aber die Beurteilung dürfte wegfallen.
Zum Beispiel in Hinsicht auf das Warten, oder besser: das nicht ERWARTEN können. Wenn wir in den Tag starten, als wäre er der erste unseres restlichen Lebens, dann würde uns nicht auffallen, wie lange etwas schon dauert. Weil es heute erst begonnen hat. Oder unnötige Ärgernisse. Wenn wir heute neu anfangen, dann ärgern wir uns vielleicht nicht mehr über eine Sache, die gestern noch so imposant war in unserer Wahrnehmung. Nicht umsonst heisst es, drüber schlafen! Dann erst handeln, nicht überstürzen. Die Nacht wäscht einiges rein und rückt Dinge an den richtigen Platz.
Schlaf ist uns nicht nur zur Regeneration der Körperfunktionen gegeben worden. Er bedient das Unterbewusstsein (Träume), er schenkt den Nerven Ruhe, damit sie nicht mehr so aufgeregt flattern wie noch am Vortag, er beleuchtet Vorkommnisse aus der richtigen Perspektive und ermöglicht uns dadurch Weitsicht. So bewahrt die Nacht uns vor dummen und übereilten Handlungen, die vielleicht nur verletztem Stolz entsprungen wären oder sonst einem Gehabe des Egos. Aufgebrachte Emotionen sind selten ein guter Ratgeber.
Durch diese Ruhepause ist der Morgen ein Neuanfang. Wir kriegen Tag für Tag das Geschenk, die Augen aufzuschlagen und alles zurück auf Anfang zu stellen. Sicher, manches ist immer noch da. Ja, vieles ist immer noch so. Den Zustand kann ich vielleicht nicht ändern. Aber meine Sicht darauf.
Ich kann friedlich in den jungfräulichen Tag hineinerwachen, durchatmen und sagen: ok, der gestrige Weg hat mich aufgebracht, aber nicht weiter. Heute versuche ich einen anderen. Schauen wir, was da alles passiert. Und wenn es nicht passt, kein Stress, es gibt im besten Fall noch ganz viele Morgen, und an jedem ist mir Entscheidungsfreiheit geschenkt. Man hat immer das Recht, sich umzuentscheiden, das ist mutig, nicht flatterhaft.
In diesem Sinne, schauen wir uns den morgigen Tag mal an, als wäre er der erste von unserem wunderbaren Leben!