„Wer scharf denkt, wird Pessimist. Wer tief denkt, wird Optimist.“ (Henri Bergson, französischer Philosoph und Nobelpreisträger für Literatur 1927)
Dieses Zitat wollte ich mir genauer ansehen.
Ab dem Zeitpunkt, wo ich sehr bewusst in meine Gedankenwelt getaucht bin, hab ich mich für tiefgründig gehalten. Im Sinne von: sich Gedanken machen über Gott und die Welt und mit anderen Tiefgründigen darüber philosophieren. Der Gegensatz dazu war für mich Small Talk, den ich dementsprechend für oberflächlich hielt.
Mit den Jahren und zunehmender Erfahrung habe ich gemerkt, dass ich nicht richtig unterschieden habe. Tiefgründigkeit ist nicht gleich langandauerndes Grübeln und schon gar nicht das Beurteilen von Situationen und Menschen. Zu schnell kippt man dabei in ein klassisches Schwarz/Weiss-Denken. Genau dabei hab ich mich immer wieder ertappt, dass ich die berühmte „Grauzone“ dazwischen übersehen habe. Tiefgründigkeit hatte für mich einen sehr ernsten, um nicht zu sagen „staatstragenden“ Charakter, deshalb stach mir in oben genanntem Zitat das Wort „scharf“ ins Auge. Kennen wir das nicht alle, dieses „scharfe“ Beurteilen einer Situation oder eines Menschen? Je länger man sich in den grüblerischen Strom reinziehen läßt, stimmt das die Gedanken selten milder, sanfter, versöhnlicher.
Unser Gehirn ist so konstruiert, dass es nicht unterscheiden kann, ob etwas real oder ein Gedankenkonstrukt ist. Gedanken sind mächtig, sie schaffen (subjektive) Realitäten. Oder nennen wir sie „scheinbare“ Realitäten, die sich täuschend echt anfühlen können. Denn erst, wenn der Gedanke beginnt, die Emotionsebene zu tangieren, dann gewinnt er an Gewicht, davor ist es bloß ein Gedanke, derer uns tausende pro Tag durch den Kopf schießen.
Wir sind dann wütend oder enttäuscht über einen Menschen, der ziemlich wahrscheinlich gerade nichts verbrochen hat. Fürchten Situationen, die maximal harmlos sind. Das kann unserem emotionalen Erleben ganz schön zusetzen.
Dann der gedankliche Durchbruch:
Warum eigentlich sprechen wir alle immer von einer Grauzone? Da ist doch völlig klar, dass wir aus der Nebelsuppe möglichst schnell zu einem der Pole gelangen wollen. Was aber, wenn wir diese Zone ab sofort zur Buntzone machen? Bunte Vielfalt zwischen JA oder NEIN, zwischen der oder jener Entscheidung, die nicht in Stein gemeißelt werden muss. Der Weg zwischen den Extremen auf einen Schlag viel verlockender erscheint, weil BUNT einfach so viel mehr ist als die eine Farbe Grau. Vielleicht müssen wir dann gar nicht mehr so schnell irgendwo ankommen, sondern können uns in der Zwischenwelt treiben lassen, alle Möglichkeiten am Wegrand beobachten und mal gucken? Denn da ist bei aller Tiefgründigkeit auf einmal Platz für Spaß, Witz, Leichtigkeit und ja, manchmal auch Oberfläche. Die kann entzückend sein, wenn sie sich leicht kräuselt, wie Lippen, die sich zu einem Lächeln verziehen.
Tiefgang kann leicht sein, sollte leicht sein. Nicht geprägt von immer schwerwiegenden Gedanken, denn es gibt auch eine Tiefe, die nicht mehr gesund ist.
Machen wir uns Gedanken über die Welt, natürlich! Aber reiben wir uns nicht auf, weil die Pole zu extrem sind oder die Grauzone zur nicht greifbaren Nebelwand wird. Machen wir sie bunt und lassen uns von einer gewissen Gelassenheit durch sie treiben, ohne Drama, denn „an einem ruhigen Fluss ist das Ufer voller Blumen.“ (aus China)
Sehr wahre Worte. Alles darf und soll sein, solange man keinen Menschen damit verletzt.
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Zumindest nicht mit Absicht, das unterstelle ich den wenigsten.
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Hallo
Grübeln und sich so in Gedanken verlieren das es nicht gesund ist, kenn ich nicht.
Der schneidende Verstand, das war eher mein Problem in jungen Jahren.
Mittlerweile hat das aber zusammengefunden und ich kann meine Gedanken über ein Thema ruhig in mir schweifen lassen.
Das Bild des Beobachters, der sich die ganze bunte vielfalt des Lebens ansieht und alle Ursachen und Wirkungen, auch weil er genügend Abstand hat erkennt, gefällt mir sehr.
Wäre doch ein schönes Lebensziel oder?
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Das stille GedankenBEOBACHTEN ist auch was Gutes..aber das BEWERTEN und sich über sie definieren führt auf falsche Wege, zu oft.
Tagträumen, das sollte man immer tun, wegen der Seelenhygiene…
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