Gedankensplitter

Welcome to the „New Age“

„New Age“, das klang früher nach Befreiung, nach Weiterentwicklung, nach Tiefe und Grenzerweiterung.  Ist das neue Zeitalter golden? Ich lese gerade ein Buch, das erschreckende Tendenzen erkennen lässt:

Willkommen im Zeitalter des salonfähigen Narzissmus! Einst verpönt als übertriebene Selbstliebe gelten Narzissten heute als schillernde Persönlichkeiten, als Erfolgsmenschen, die sich nehmen, was sie haben wollen und das auch kriegen. Ob sie damit der Umwelt oder anderen Menschen Gutes tun – zweitrangig. (wenn überhaupt).

Wenn man die aktuellen Staatsoberhäupter in erschreckend vielen Teilen der Welt anschaut, weiß wohl jeder, wovon wir sprechen. Nicht enden wollende Kriegsführung, weil man Territorium erobern will, Machtgebaren, noch immer verantwortungslose Ausbeutung des Planeten zu Geldzwecken – all das wird bereits – GROSSARTIG! – mit immer lauterer Stimme auf allen Kanälen thematisiert. Es geht dabei immer nur um eines, was diesen Menschen innewohnt, und das ist: HABEN WOLLEN. GELTEN WOLLEN. BESITZEN WOLLEN. Um jeden Preis. Bar jeder Empathie, Mitgefühls oder Toleranz.

Dabei beginnt das im viel kleineren Rahmen als der internationalen Politbühne. Es beginnt in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Scheinbar harmlos und natürlich total liebevoll gemeint, wurden wir im letzten Jahrzehnt (und länger) dauerbeschallt mit Ratgebern, die uns nahelegten, als allererstes die Selbstliebe zu pflegen, nur so könnten wir auch andere Menschen lieben. Wäre gut gewesen, eine Obergrenze dafür zu ziehen, damit wir nicht zu solch Gockeln werden, dass wir ausflippen, wenns mal nicht klappt, wie wir uns das in unserer Begeisterung für uns selbst ausgemalt haben.

Weiter gehts mit dem genauen Hinhören auf unsere Bedürfnisse. Gut und richtig, aber hat wer die Fußnote dazugeschrieben, dass auch unser Gegenüber welche hat und somit das gleiche Recht, auch mal seine anzumelden? Das tritt dem modernen Narzissten dann schon eher auf die Füße, denn passen sie IHM/IHR in den Kram? Seine/ihre sind schon noch einen Deut wichtiger als die des/der anderen.

Wünsche ans Universum. Mittlerweile ein Slogan, den jeder kennt. Im unschuldigsten Fall gehts ja nur um den mittlerweile berühmt-berüchtigten Parkplatz. Auch da hat noch niemanden interessiert, ob ein anderer den vielleicht auch grad und vielleicht noch dringender brauchen würde. WIR ZUERST. Im Straßenverkehr blüht der Narzissmus übrigens so richtig auf. WEHE, jemand nimmt UNS die Vorfahrt, wagt es, vor uns zu kriechen und UNSERE Zeit damit zu vergeuden, und noch schlimmer, blinkt auf der Autobahn hinter einem, um einen zu ÜBERHOLEN! Ein Sieger auf der Straße, das geht gar nicht. Es ist erwiesen, dass selbst die sanftesten Menschen im Auto zu aggressiven  Bestien werden. WIR ZUERST.

Aber wir wünschen ja viel weitläufiger als nur diesen Parkplatz vorm Haus. Wir wünschen uns ewige Jugend, ewige Gesundheit, den perfekten Partner und den bestbezahlten Job mit der wenigsten Arbeitszeit – egal, ob wir damit Lernaufgaben ausweichen, es auch dem Großen und Ganzen dienlich ist, wird nicht gefragt. Ob wir damit vielleicht auch – ähnlich dem Butterflyeffekt – das Leben anderer beeinflussen, es auch das Beste für SIE ist, soweit wird nicht mehr gedacht. WIR ZUERST.

Beziehungen sind das Schlachtfeld schlechthin für das Austragen dieser Machtgesten und Egokämpfe. Im schlimmsten Fall wird es dann noch als Liebe verkauft. Da ist Eifersucht ein Zeichen von Liebe, da ist Besitzdenken ein Zeichen von Liebe, da ist Nulltoleranz und völlig fehlendes Verständnis oder gar Großzügigkeit für die Bedürfnisse des anderen ein Zeichen von Liebe, weil “ du bist mir ja so wichtig, da ist doch klar, dass ich eifersüchtig/besitzergreifend/intolerant bin“. Welch ein gedanklicher Irrgang.

Wir haben keine Skrupel, unser Ego auf dem Rücken des anderen auszutragen, und sei es über Jahre oder Jahrzehnte, solange der mitspielt und dieses plärrende, nach Aufmerksamkeit süchtige Kleinkind in uns befriedigt, sprechen wir von der großen Liebe und der perfekten Harmonie. Aber wehe, dieser Partner (der es natürlich nie auf Augenhöhe schafft) emanzipiert sich, meldet seinerseits Bedürfnisse an, holt sich eine Auszeit! Dann wird der vormals liebende Mensch zum beleidigten und getretenen Opfer, dann wird getrotzt und bestraft und zurückgezogen und emotional manipuliert. Die fetten Jahre, die nimmt man ohne Wimpernzucken hin, riskiert keinen Seitenblick auf den Anderen, obs ihm damit auch gutgeht, ob er kar kommt. Kommen die mageren, wo man dann die Konsequenzen zu tragen hat, Verantwortung zeigen soll, sagen soll: JA, ich verstehe dich! Ich weiß, warum du dahin gekommen bist, und natürlich sollst du jetzt mal auch deinen Weg gehen, auch, wenn das bedeutet, ICH muss mal in der zweiten Reihe stehen ( wie du es jahrelang machtest), dann wirds eng für den Narzissten. Dann tobt er. Dann ist die Welt schlecht. Und das größte Opfer er selbst. Das Gegenüber ist nicht mehr interessant, denn es verweigert die widerspruchslose Bewunderung und Aufopferung, und warum sollte man kürzer treten und sich mal zurücknehmen können, noch dazu zum Wohle eines anderen Menschen? Denn auch hier gilt: HABEN WOLLEN. WIR ZUERST.

Es ist schade, dass im Kampf Ego gegen Seele scheinbar immer das Ego gewinnt. Ego ist wichtig, selbst einer Form des gesunden Narzissmus sprechen die Psychologen und Psychiater eine Daseinsberechtigung aus, weil es unser (Über-)Lebensantrieb ist. Aber es gibt auch den malignen, und diese Menschen sind am beratungs- und behandlungsresistentesten, manövrieren sich immer mehr in den Strudel der negativen Gefühle, kennen nur mehr drohen und/oder Rückzug, im schlimmsten Fall üben sie Gewalt an sich oder anderen aus.

Wie schade um manch wertvolle Seele, die so sehr glänzen und strahlen würde, könnte sie es aushalten, nicht immer nur im vermeintlichen Wettbewerb mit anderen Seelen gewinnen zu müssen, sondern zu erkennen, dass wir alle verbunden und in der Gemeinschaft stärker sind und es eigentlich gar keinen Wettbewerb gibt. Der findet nämlich nur im Kopf statt…

 

 

5 Kommentare zu „Welcome to the „New Age“

  1. Was ist dann die Lösung? Wenn’s nicht Kampf ist bleibt nur mehr die Flucht, diskutieren hilft bei denen nicht, ich denke das weißt du.
    Auch immer davonlaufen wäre nicht mein Ding.
    Solchen Menschen sollte man unbedingt ihre Grenzen zeigen, oder sie komplett meiden.

    Gefällt 1 Person

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